Söder: „Brauchen Milliarden von Masken“

von Redaktion

Hygiene-Offensive in Bayern: Wirtschaftsminister Aiwanger und Ministerpräsident Söder besuchen den neuen „Hoflieferanten“ für Corona-Masken. Es ist ein Mann, der sonst edle Sitzbezüge für Luxusautos herstellt. Jetzt bekommt er einen Spezialauftrag: Er soll 100 000 Masken fertigen. Pro Tag.

VON STEFAN SESSLER

Weng – Es ist ein kleines Stück Vliesstoff, das heutzutage den Unterschied zwischen Staatsmann, oberstem Corona-Bekämpfer und Hygiene-Anfänger macht. Wer weiß, wie man mit Atemmasken umgeht, der kann die Welt in diesen verrückten Tagen ein bisschen sicherer machen. Das ist die Hoffnung. Aber überall lauern Stolpersteine. Auftritt von Hubert Aiwanger, bayerischer Wirtschaftsminister und Ein-Mann-Masken-Eingreiftruppe: Erst kürzlich ist er an den Frankfurter Flughafen gefahren, weil er gehört hat, dass dort 600 000 Masken im Zoll feststecken. Jetzt steigt er in Weng, einer kleinen Gemeinde im Kreis Landshut, aus dem Dienstauto. Maskenlos. Er sagt: „Ich hab chinesische im Auto, aber ich darf den Herrn Zettl nicht provozieren.“

Nein, das sollte er nicht. Herr Zettl heißt mit Vornamen Reinhard und er lässt in Zeiten, in denen keine Pandemie die Welt heimsucht, hier im Freistaat edle Leder-Armaturen und Sitzbezüge für Luxusautos nähen. Er will seine Kunden nicht nennen, sympathische niederbayerische Tiefstapelei. Aber auf der Internetseite der Zettl Group stehen sie doch samt ihren berühmten Logos: BMW, Audi, Mercedes, Lamborghini, Rolls-Royce, Porsche. Das war vor Covid-19. Herr Zettl wollte seine Belegschaft schon großflächig in Kurzarbeit schicken, seine Firma hängt am Tropf der Autoindustrie. Doch da hatten seine Kinder eine Idee: Papa mach doch Masken, die könnten schon bald auf der ganzen Welt knapp werden.

Die Idee war geboren. Über den Landrat knüpften die Zettls Kontakt zum Wirtschaftsministerium – und begannen zu tüfteln. „Der Prototyp ist in sechs Tagen entstanden“, sagt Zettl. Alles ging rasend schnell. Das Prüfverfahren für die Corona-Schutzmasken made in Bavaria dauerte zehn Tage. „So was braucht normal ein halbes Jahr“, sagt Aiwanger, der sich jetzt doch für eine Zettl-Maske entscheidet, als er die Produktionshalle mit all ihren Nähtischen betritt. Es rattert und brummt. Im Sekundentakt entstehen Masken. Eine geübte Näherin braucht zehn bis 15 Minuten pro Stück. Sie sollen hochwertiger als OP-Masken sein, aber noch keine Atemschutzmasken mit der höchsten Schutzklasse (siehe Artikel unten).

Neben Aiwanger steht ein großer Mann mit blauem Sakko und Schutzmaske. Es ist der Ministerpräsident persönlich. Markus Söder lässt sich die Abläufe zeigen, er nimmt eine Maske in die Hand. Er reibt an der Maske, er testet das Material. Die Stofffetzen, die Leben retten sollen, sind zu wichtig, als dass Vize-Ministerpräsident Aiwanger den Termin alleine besetzen darf. Masken sind im Jahr 2020 Chefsache. Chef-Chefsache. Nach der Besichtigung sagt Söder: „Die erste bayerische Produktion läuft an. Zettl ist ab heute der staatliche Hoflieferant.“ 80 bis 100 Mitarbeiter machen in Weng gerade nichts anderes als Masken. Einziger Abnehmer: der Freistaat. Bald schon sollen 100 000 Masken pro Tag entstehen. „Aber Zettl alleine wird das Problem nicht lösen“, sagt der Ministerpräsident. „Ich glaube, dass wir am Ende in Deutschland Milliarden Masken brauchen.“

Sämtliche Masken, egal ob im Ausland beschafft oder aus eigener Herstellung, werden zentral registriert und dann vom Technischen Hilfswerk im Land verteilt – als Erstes an das Personal in Kliniken, in Altenheimen und in Pflegeheimen. Auch der Hemdenhersteller Eterna in Passau und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen arbeiten an der Schutzmasken-Produktion. Der Weltmarkt ist fast leergekauft. Gestern beschwerten sich die Franzosen, dass die Amerikaner ihnen schon bestellte Masken auf dem Rollfeld in China wegkaufen. „Sie zücken Bargeld und zahlen drei oder vier Mal so viel wie unseren Bestellpreis“, heißt es aus Frankreich. Wenn es um Schutzmasken geht, gibt es keine Freundschaften mehr.

Bayern will sich unabhängig vom Weltmarkt machen – gerne auch mit ungewöhnlichen Ideen. In der letzten Woche produzierten inhaftierte Frauen der Justizvollzugsanstalt Aichach mehr als 10 000 Masken, in den nächsten Wochen sollen in Bayerns Gefängnissen 150 000 Masken entstehen. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich sagt, er sei „stolz auf den Beitrag“, den Inhaftierte in der Krise leisteten.

Das Virus lähmt die Welt, Masken sind ein Stück Gegenwehr, ein bisschen Sicherheit. Sie sind das, was man gerade tun kann. Nur bittschön nicht ewig. „Was wir machen, ist eine Hilfestellung für die bayerische Bevölkerung“, sagt Großproduzent Zettl. „Solange es nötig ist, machen wir Masken.“ Aber irgendwann wollen seine Näher und Näherinnen auch mal wieder was Anspruchsvolles herstellen. Etwas, das einfach nur schön ist und das man eigentlich nicht braucht, außer man will es. Schutzmasken statt Ledersitze. Mehr muss man über unser Leben eigentlich gerade nicht wissen.

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