Professor Rüdiger Lange (66), ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums in München, warnt davor, das Coronavirus zu unterschätzen und berichtet von Situationen auf der Intensivstation, die selbst ihn sprachlos machen. Und er fordert mehr Wertschätzung für die Pflegekräfte. „Ohne ihre aufopferungsvolle Arbeit wäre unser Gesundheitssystem aufgeschmissen, das zeigt sich gerade jetzt.“
Ganz Deutschland debattiert darüber, ob die Anti-Corona-Maßnahmen gerechtfertigt oder überzogen sind. Wie schätzen Sie aus Ihrer Erfahrung im Herzzentrum heraus das Bedrohungspotenzial von Sars-CoV-2 ein?
Es stimmt zwar, dass vergleichsweise wenige Infizierte schwer erkranken – und die meisten von ihnen sind ältere Patienten mit Vorerkrankungen. Aber ich kann alle nur davor warnen, Covid-19 zu unterschätzen. Wir haben auf unserer Intensivstation immer wieder dramatische Verläufe und leider auch Todesfälle. Und unter den Opfern sind auch jüngere Patienten ohne sichtbare Vorerkrankungen.
Warum können Sie diese Menschen nicht retten?
Bei manchen Patienten greift das Sars-CoV-2-Virus die Lunge in einer Art und Weise an, die ich kaum für möglich gehalten habe. Das Ausmaß der Lungenentzündungen ist extrem. Als die ersten Röntgenbilder unserer Covid-19-Patienten vorlagen, konnte ich kaum glauben, was ich darauf sehe.
Das bedeutet also, dass selbst erfahrene Intensivmediziner machtlos sind…
Bei schweren Verläufen können wir nicht viel mehr tun, als die Patienten an Beatmungsgeräte anzuschließen – und darauf hoffen, dass sich ihre Lunge wieder erholt. Eine andere offiziell zugelassene Therapie steht nach wie vor nicht zur Verfügung, möglicherweise wirksame Medikamente werden derzeit erst in klinischen Studien erprobt.
Manche haben keinerlei Symptome, andere kämpfen um ihr Leben. Wie lässt sich das erklären?
Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen es noch nicht. Wir haben jüngst einen schwerkranken Patienten behandelt, dessen komplette Großfamilie sich mit dem Virus infiziert hatte. Kein Mitglied außer ihm hatte nennenswerte Probleme. Er selbst schwebte in Lebensgefahr. Das macht einen sprachlos – als Arzt und als Mensch.
Auch für die Pflegekräfte ist der Kampf gegen Covid-19 eine enorme Herausforderung
Vor den Pflegekräften insbesondere auf den Intensivstationen habe ich allerhöchsten Respekt. Die Schwestern und Pfleger schuften wie im Bergwerk unter Tage. Aber in unserer Gesellschaft erfahren sie nicht die Wertschätzung, die ihnen gebührt. Wir brauchen in Deutschland bei diesem wichtigen Thema endlich ein Umdenken.
Was müsste sich konkret ändern?
Pflegekräfte haben mehr soziale Anerkennung verdient, aber auch materielle. Die Vergütungen müssen angehoben und die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden.
Welche meinen Sie?
Es muss beispielsweise für Pflegekräfte leichter möglich sein, ein Studium im Fach Pflege zu absolvieren und darin auch zu promovieren. Nicht nur die Medizin und der Job des Arztes hat sich massiv weiterentwickelt, sondern auch der Pflegeberuf. Das sollte sich unter anderem verstärkt in dualen Konzepten für kombinierte Ausbildungen und Studiengänge niederschlagen.
Interview: Andreas Beez