Die Ängste der Eltern vor dem Schulbeginn

von Redaktion

„Machen ein paar Wochen Unterricht den Unterschied im Leben“: Eine Mutter aus Valley hat einen Wut-Brief verfasst

München – Anja Gild aus Valley im Landkreis Miesbach ist Mutter eines Zehntklässlers, Abschlussklasse mittlere Reife, Realschule Holzkirchen. Und sie ist wütend. Seit gestern muss ihr Sohn wieder zur Schule gehen. „Wir Eltern schicken unsere Kinder – obrigkeitshörig – auf die Schulbank“, heißt es in ihrem offenen Brief an Bayerns Schulminister Michael Piazolo. „Oder sollte ich sagen: Corona-Schlachtbank?“

Sie findet es absurd, dass man sich in der freien Natur nur mit einer Person außerhalb der Familie treffen darf, „aber dann sitzen da 15 Schüler stundenlang in einem Raum zusammen“, sagt sie am Telefon. Ihr Vorschlag: Kein einziger regulärer Schultag mehr in diesem Schuljahr und stattdessen ein Abschluss für die Schüler mit den Durchschnittsnoten. Oder auf Wunsch eine schriftliche Abschlussprüfung. „Sehr geehrter Professor Piazolo“, schreibt sie, „Bildung ist wichtig. Aber Hand aufs Herz – machen ein paar Wochen (Präsenz-)Unterricht für den Abschluss den Unterschied im Leben?“

Ihren Sohn hat sie gestern mit einem mulmigen Gefühl verabschiedet – und mit einem Auftrag. Er soll schauen, ob die Hygieneregeln eingehalten werden. „Wenn er feststellt, dass es chaotisch ist“, sagt sie, „könnte ich mir vorstellen, die Reißleine zu ziehen und ihn nicht mehr in die Schule zu schicken – was wegen der Schulpflicht natürlich problematisch ist.“

Viele Mütter und Väter, die betroffen sind, sind heilfroh, dass ihre Schüler endlich wieder in die Schule gehen können. Dass die Kinder ihren Abschluss machen können. Dass das einsame Lernen zu Hause ein Ende hat, aber es gibt auch viele besorgte Eltern wie Anja Gild. Viele Leserzuschriften aus den letzten Tagen gehen in die Richtung. „Von einem groß angelegten Experiment mit 60 000 Jugendlichen und ihren Familien zu Studienzwecken“ ist die Rede. Oder von Schülern, die zu „Versuchskaninchen“ werden.

Es gibt gerade viele Streitfragen rund um die Schule, die schon immer ein emotional vermintes Gebiet ist. Seit das Coronavirus grassiert, ist es nicht besser geworden. Im Gegenteil – einfache Lösungen gibt es selten. Der Bayerische Elternverband (BEV) hat ebenfalls einen offenen Brief Richtung Kultusministerium verfasst – und fordert die Fortsetzung des digitalen Fernunterrichts. Zugleich will der BEV, dass die schulspezifischen Hygienekonzepte von Experten des Gesundheitsamtes überprüft und genehmigt werden. Ohne Genehmigung dürfe kein Schulbetrieb vor Ort stattfinden.

Martin Löwe aus Rosenheim ist Vorsitzender des Elternverbands. Er fordert, dass man im Notfall „auf nicht genutzte öffentliche Gebäude mit ausweicht“, wenn in den Schulen für die Abschlussklassen nicht ausreichend Platz ist, um Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Gleichzeitig lobt der Verband das Gros der Lehrer, die gerade „Großartiges“ leisten, aber der BEV gibt den Lehrkräften auch eins mit – vor allem jenen Lehrern, die den Schulausfall vor Ostern „als Urlaub verstanden“ und Fotos vom frisch renovierten Bad im Internet gepostet hätten. Man erwarte klare Ansagen vom Kultusministerium: Die Dienstpflichten der Lehrer blieben auch ohne Präsenzunterricht bestehen.

Schulminister Piazolo hat gerade mehr Baustellen, als ihm lieb sein dürfte. Ein weiterer Knackpunkt ist die Öffnung der Grundschulen. Gerade vor dem Wiederbeginn graut vielen, berichtet Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV. „Wir haben auch extrem viele Lehrer, die uns sagen: Bitte nicht!“ Immer schwingt die Sorge mit, kleine Schüler würden sich nicht an Hygieneregeln halten. „Denen kann man auch nicht einfach anschaffen: Nimm den zweiten Eingang links, nicht den dritten rechts“, sagt Fleischmann.  sts/dw

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