Nur einer von zehn Tischen ist geblieben

von Redaktion

Die Biergärten müssen viele Auflagen einhalten, den Chinesischen Turm trifft es besonders hart

München – Im Dirndl und mit Mundschutz fegt Antje Schneider durch das kleine Holzhäuschen. Im Akkord verteilt die Biergartenchefin Formulare, Speisenkarten, Tischnummern und Toilettenchips. Es ist Montagmittag am Chinesischen Turm und vor dem Häuschen, das nun der einzige Eingang ist, hat sich eine Schlange gebildet. Vorbeischummeln geht nicht. Der Biergarten ist eingezäunt. Wer rein will, der muss hier vorbei.

Am „Chinesen“, wie die Münchner den beliebten Biergarten im Englischen Garten nennen, ist nicht mehr viel so, wie es vor Corona war. Normalerweise drängen sich an schönen Tagen an die 7000 Menschen hier. 700 Plätze sind geblieben – der Rest ist den Corona-Auflagen zum Opfer gefallen. Weil kaum ein Tisch voll besetzt ist, sind es letztlich noch weniger. Aus dem Biergarten ist ein Gärtchen geworden. Aber immerhin ist wieder auf.

Der Chinesische Turm hat es besonders schwer. Andere Biergärten haben nur einen oder zwei Eingänge, der „Chinese“ aber ist von allen Seiten zugänglich. Die offene Lage im idyllischen Park ist in Zeiten von Corona ein Problem. Schneider, die auch Wirtin der Ochsenbraterei auf dem Oktoberfest ist, hat das Areal deshalb mit Gitterelementen einzäunen lassen.

Das Holzhäuschen ist das Nadelöhr. Hier müssen die Gäste ein Formular ausfüllen – mit Namen und Telefonnummer, damit bei Corona-Alarm die Infektionsketten nachvollziehbar sind. Dann bekommt man eine Speisenkarte. Man kreuzt an, was man gerne hätte, geht zum Kassenhäuschen und bezahlt. Dann muss man zurück zum Eingang, um seine Tischkarte zu holen. Freie Platzwahl, das war vor Corona.

Mit der Tischkarte geht es zum nächsten Checkpoint. Ein Platzanweiser erklärt, wo der Tisch ist, damit niemand unnötig rumläuft. Kaum am Platz, kommt schon die Bestellung, die vom Kassenhäuschen elektronisch an die Küche geht. Bier und Essen selber holen, das war vor Corona. Will man ein zweites Bier, muss man wieder zur Kasse, will man auf die Toilette, muss man sich am Eingang einen Chip besorgen. Mal eben schnell „das Bier wegtragen“, auch das war vor Corona. Wer geht, lässt seine Platzkarte einfach am Platz liegen. Das Personal räumt ab, desinfiziert den Tisch und bringt die Karte zurück zum Eingang. Der Tisch kann dann neu vergeben werden.

Iris aus München hat das Prozedere schon hinter sich gebracht. Alleine sitzt sie an einem Vierertisch, vor sich ein Bier und Spareribs. Sie habe schon gewusst, was da auf sie zukommt, sagt sie. Schön sei das alles nicht. Der Biergarten habe die schwere Aufgabe „ideal gelöst“, findet sie. Die vielen Auflagen hingegen findet Iris, die an einem Münchner Gericht arbeitet, „bei den aktuellen Infektionszahlen übertrieben“.

Daniel (30) und Annika (28) sind aus Hallbergmoos gekommen. Mit einem befreundeten Paar sitzen sie vor ihren Masskrügen. Alle tragen Tracht, aber so richtig zünftig ist es nicht. „Die Atmosphäre ist noch sehr verhalten“, sagt Annika. „Das ist alles sehr ungewohnt. Aber ich glaube, man wird sich daran gewöhnen müssen.“ Annika ist überzeugt, dass all die Auflagen lange bleiben, zumindest diesen Sommer. Viele der Tische sind inzwischen besetzt, draußen wird die Schlange nicht kürzer. „An einem Wochenende“, sagt Daniel, „komme ich nicht hierher. Ich stelle mich nicht eine Stunde lang an, um ein Bier zu bekommen.“

Maria Pinzger, Sprecherin von Antje Schneider, weiß, dass die Atmosphäre leidet. „Das macht uns allen keinen Spaß, aber wir müssen das so machen“, sagt sie. Immerhin soll bald wieder eine Kapelle im Turm sitzen und bayerische Musik spielen. Und noch sei das alles ein großer Testlauf. Zwischen den Tischen ist der Abstand vielfach größer, als er sein müsste. Man will Erfahrungen sammeln. An Tag eins geht Sicherheit über alles. Die erste richtige Nagelprobe wartet am Donnerstag. „Am Vatertag werden uns die Leute die Bude einrennen“, glaubt Pinzger. Mehr als 700 Plätze wird es aber auch dann nicht zu verteilen geben.

Ob sich der große Aufwand finanziell lohnt? „Da können Sie ja mal selber rechnen“, sagt Pinzger. Das Personal sei von den üblichen 25 – bei Normalbetrieb – auf gut 40 aufgestockt worden. Mehr Personal bei nur noch zehn Prozent der Plätze. „Wenn jemand gar nicht öffnet, kann ich das voll verstehen“, sagt Pinzger. Immerhin gebe es wieder Arbeit für die Angestellten. Das, sagt Pinzger, sei ein großer Antrieb gewesen.

WOLFGANG HAUSKRECHT

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