Erster Tag im Wirtshaus: So fühlte es sich an

von Redaktion

VON HELENA TREVISAN

München/Erding/Wörthsee – Das Virus, es ist ein Quälgeist, eine Plage. Aber es macht auch kreativ. Beim Augustiner Klosterwirt in der Münchner Innenstadt haben sie sich die bisher beste Hygieneregel dieses verflixten Jahres 2020 ausgedacht. Pünktlich zur Wiedereröffnung der Wirtshäuser und Cafés sitzen plötzlich Berühmtheiten neben einem, zwar nur als Foto, aber immerhin.

Auf einem Stuhl sieht man Queen Elizabeth II. mit schickem blauen Hut, auf einem anderen Karl Valentin mit Zigarre. Daneben steht: „Servus! Setz dich neben mich. Ich schütz dich vor Corona!“ Die beiden sitzen auf einem Freihaltestuhl, also einem Stuhl, den man nicht benutzen soll, um die Abstandsregeln einzuhalten. Bayerns Wirte haben in den letzten zwei Monaten gelitten, viele haben noch immer Existenzängste, aber seit gestern gibt es ein bisschen Licht am Ende des Tunnels.

Innen gelten weitgehend die gleichen Regeln wie in der Außengastronomie – also Mindestabstand, Maskenpflicht jenseits des Tisches und die Registrierung einer Person pro Besuchergruppe. Es darf bis 22 Uhr bewirtet werden, draußen nur bis 20 Uhr. Ab Pfingsten soll sich das ändern. Angela Inselkammer, Präsidentin des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Bayern, hält die Beschränkung der Öffnungszeiten ohnehin für unnötig – und fordert weitere Erleichterungen. So müsse über das Thema Veranstaltungen gesprochen werden, sagte sie unserer Zeitung gestern. Veranstaltungen seien gerade für die Hotelbranche überlebenswichtig (siehe Interview rechts).

Trotz Neustart sind die Wirte verunsichert. Laut einer Blitzumfrage des Dehoga Bayern unter 1700 Mitgliedern erwarten die Wirte im Schnitt 57 Prozent Umsatzeinbuße. Belastend ist unter anderem der Wegfall von Plätzen durch den Mindestabstand, der laut Umfrage im Schnitt bei 50 Prozent liegt.

„Wir können nur noch etwa die Hälfte der Tische benutzen“, bestätigt Chris Pazarlis, 64, Kellner im Münchner Café Woerner’s. Pazarlis ist froh, überhaupt wieder arbeiten zu können, „aber es ist sehr anstrengend, vor allem mit der Maske“. Der Kellner spricht von einem Verlustgeschäft. „Trotzdem bleiben wir offen. Auch weil wir sehen, wie froh die Gäste sind, wieder hier sein zu können.“

Nadja Dolp, 24, ist Serviceleiterin im Münchner Restaurant Heimwerk. Das Außengeschäft sei vergangene Woche ganz gut angelaufen, berichtet sie. „Ich bin gespannt, wie es jetzt im Innenbereich wird. Ein Problem ist, dass wir normalerweise mehrere Paare an einen langen Tisch setzen können. Das geht jetzt nicht mehr.“

Florian Raht, 47, von der Loretta Bar, glaubt, dass die Gastronomie noch lange an Corona knabbern wird. „Unsere Kunden sind vor allem Studenten und Selbstständige, die sich auch mal mit ihrem Laptop in unsere Bar setzen“, sagt der Münchner Wirt. „Mit unseren kleinen Tischen ist das kein Problem. Aber unsere Gäste haben natürlich im Moment auch nicht unbedingt das Geld, um hierher zu kommen. Im Idealfall werden die nächsten Wochen kostendeckend sein.“

Im Andechser am Dom ist es auch ruhiger als sonst. Normalerweise ist das Lokal ein Magnet für Touristen. Aber die gibt es im Moment kaum. „Wir öffnen wochentags jetzt erst um 11.30 statt um 10 Uhr und denken auch darüber nach, ob wir einen Ruhetag einführen“, sagt die 32-jährige Chefin Julia Krätz, „Wir haben sehr hohe Kosten, weil wir ja trotzdem Kellner und Köche benötigen. Es werden nur etwa 30 Prozent der Tische genutzt, weil sonst der Abstand nicht gewahrt währe. Den Trinkbereich und den Fernsehbereich mussten wir komplett zumachen.“

Auch für die Gäste ist die Situation ungewohnt. Jan T. 27, schlürft in der Loretta Bar einen Kaffee. „Ich bin das erste mal seit Monaten hier“, sagt der Student. „Eigentlich bin ich Stammgast und habe die Besuche sehr vermisst.“ Die vielen Auflagen hinterlassen ihn zerrissen. Ja, er verstehe die Einschränkungen, sagt er. Und: Ja, es störe ihn dass er seine Daten angeben müsse.

Markus Pilzweger, 51, Immobilienkaufmann, hat damit kein Problem, wie er betont. Er ist zum Essen in den Andechser am Dom gekommen. „Normalerweise sitzen wir hier immer in einer großen Gruppe, heute eben nur zu zweit“, sagt er. „Es fühlt sich schon komisch an, trotzdem ist es ein Stück weit Entspannung. Ich bin froh, endlich wieder draußen zu sein.“

Nicht alle Gäste sind so umgänglich. Till Weiß, Wirt des Augustiner am Wörthsee hat sich schon einige Sprüche eingefangen – und diese auf Facebook gepostet. „Ich bin maskenbefreit, meinen Vorfahren hat das hier alles mal gehört“, ist noch ansatzweise witzig, „Sind wir jetzt bei der Stasi oder was?“ ist beleidigend. 97 Prozent der Gäste seien „wunderbar“, so Weiß. Die Pöbeleien der übrigen wolle er sich künftig nicht mehr gefallen lassen.

Manche Gastronomen tun sich das alles gar nicht erst an. „Der Münchner Hof in Erding zum Beispiel bleibt zu. Die Wirtsfamilie begründet das auf Facebook mit der „befremdlichen Atmosphäre“ durch die strengen Vorgaben und damit, dass ein „wirtschaftlicher Betrieb schlichtweg nicht gegeben ist“. In einigen Wochen wolle man die Lage neu beurteilen.

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