Trauriger Spitzenreiter: 100 000 Corona-Tote in den USA

von Redaktion

Neue Studie: Über die Hälfte der Todesfälle wären vermeidbar gewesen, wenn das Weiße Haus früher gehandelt hätte

Washington – Der fast immer eingeblendete Toten-Zähler des TV-Senders CNN sprang am Mittwochabend erstmals in den sechsstelligen Bereich. 100 000 verlorene Leben und 1,7 Millionen Erkrankungen. Damit sind die USA weltweiter Spitzenreiter. In den letzten drei Monaten sind mehr US-Bürger am Coronavirus gestorben als im Korea-Krieg, in Vietnam und im Irak-Konflikt zusammen. Eine traurige Zwischenbilanz, die noch Anfang März undenkbar erschien, nimmt man die ersten Aussagen von US-Präsident Donald Trump zur Krise als Maßstab. Er sprach zunächst von wenigen Fällen, deren Zahl „bald gegen null“ gehen werde.

Doch am 29. Februar starb der erste Corona-Patient in der US-Metropole Seattle. Und Trump lobte China für die „Transparenz“ bei den Versuchen, eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Es waren Irrtümer des Präsidenten, die ihm die Kritiker bis zu den Wahlen im November immer wieder vorhalten werden. Und sie dürften dabei auch mit einer kürzlich veröffentlichten Studie der New Yorker Columbia-Universität winken. Der zufolge wären in den USA wohl 36 000 weniger Menschen an Corona gestorben, wenn das Weiße Haus nur eine Woche früher den Shutdown angeordnet hätte. Ein zwei Wochen früherer Shutdown hätte sogar 54 000 Todesfälle verhindert.

Doch für den Präsidenten war auch diese Studie nicht mehr als Fake News und eine politisch motivierte Attacke, da die New Yorker Uni, wie es Trump sagt, linke Positionen einnehme. Und zu einem Anlass, bei dem andere Präsidenten vermutlich eine nachdenkliche Rede zur besten Sendezeit gehalten hätten, fiel Trump zu den 100 000 Toten – die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen – nicht viel anderes ein, als auf sein löchriges Einreiseverbot aus China und 15 Millionen durchgeführte Virus-Tests zu verweisen. Dass das Land viel zu spät in die Testphase eingestiegen war, dass die Regierung ein Angebot für Test-Kits der Welt-Gesundheitsorganisation abgelehnt hat, dass bis heute die benutzten Testverfahren als nicht besonders zuverlässig gelten – das alles erwähnte der Präsident nicht.

Selbstkritik ist bei ihm zuletzt immer wieder durch Attacken auf politische Gegner ersetzt worden. Dazu gehören vor allem jene Gouverneure mit demokratischem Pateibuch, die weiter zögern, die Beschränkungen für das Alltagsleben der Bürger schnell zu lockern. Zu welchen Exzessen schnelle Erleichterungen führen können, haben am vergangenen Wochenende Aufnahmen aus den Bundesstaaten Florida und Texas gezeigt. Millionen Menschen, die sich fast immer ohne Masken und ohne Sicherheitsabstand an den Stränden tummelten, waren zu sehen.

Beim Masken-Verzicht können sich diese Bürger auf ein prominentes Vorbild berufen. Trump hat sich immer wieder geweigert, in der Öffentlichkeit einen Mund- und Nasenschutz zu tragen. Stattdessen machte er sich am „Memorial Day“ über seinen Herausforderer Joe Biden lustig, der bei einem Termin mit Maske aufgetreten war. Für Beobachter steht fest, dass Trump mit seiner beharrlichen Weigerung auch die Bedrohung durch Covid-19 herunterspielen will.

Trotz der Zahl von 100 000 Toten gibt es auch Lichtblicke. Die Kurve der Neuerkrankungen und Sterbefälle deutet nach unten. Das gilt auch für New York, das Epizentrum der Krise. Erstmals fiel die Zahl der täglichen Corona-Toten im „Big Apple“ unter die 100er-Marke – ein Wert, der seit Ende März nicht mehr erreicht worden war. Verschwunden sind auch die Kühllastwagen hinter den Kliniken zur provisorischen Leichen-Lagerung.

Mehr Neuinfektionen als erwartet gibt es vor allem in südlichen Bundesstaaten, wo Politiker bei der Öffnung vorgeprescht sind – sodass US-Immunologen schon davor warnen, die Gefahr einer zweiten Welle im Herbst und Winter sei noch nicht aus der Welt. FRIEDEMANN DIEDERICHS

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