Dénia – Beim Gedanken an Spanien kommen vielen eher Bilder der Corona-Krise in den Sinn als von Strand, Sangria und Sonne. 240 000 Infizierte, mehr als 27 000 Tote. Die Pandemie hat Spanien schwer getroffen. Am Sonntag hat die Regierung erstmals seit Langem keinen Todesfall vermeldet, und nur 71 Neuinfektionen. Am 1. Juli will sie die Grenzen öffnen. Ob aber die Touristen an die Strände zurückkehren, ist die Frage. Die Spanier hoffen, denn in den Touristenorten vor allem am Meer herrscht eine existenzbedrohende Ebbe.
María Ferrer lebt in Dénia, einer Hafenstadt im Landkreis Marina Alta. Die Costa Blanca zieht sich an dem Städtchen vorbei, aber der sonst so beliebte Strand an der Ostküste ist vereinsamt. Ferrer glaubt nicht, dass Ausländer diesen Sommer große Lust auf die Costa Blanca verspüren. „Wir sind in einem Krieg gegen dieses Virus. Da denkt man doch nicht an eine Vergnügungsreise.“
Preisschlacht erwartet
Im Gegensatz zu Madrid oder Barcelona war Marina Alta kein Corona-Hotspot. Knapp 260 Infizierte und weniger als 20 Todesopfer. Seit 18. April gab es hier keinen Todesfall mehr. In anderen Küstenorten sieht es ähnlich aus, aber das Virus hat die Orte trotzdem leer gefegt.
Die Marina Alta ist strukturschwach. Fast alle Familien leben vom Tourismus – als Koch, Kellner, Taxifahrer, Gärtner, Poolpfleger, Schreiner, Maler oder Handwerker. Ihre Rechnung zahlt fast immer ein Tourist. Was im Sommer verdient ist, hilft den Menschen hier über den Winter. „Wir hatten seit März nur Kosten und null Einnahmen“, sagt Helena Olthof. Die gebürtige Schweizerin betreibt in Dénia die Ferienhausvermietung „Happy in the Sun“. Keine Buchungen, nur Stornierungen. Statt zu verdienen, musste sie Geld zurückerstatten. All ihre Hoffnungen ruhen auf Juli und August, jedoch mehr auf spanischen Gästen. „Der nationale Tourismus macht aber nur die Hälfte des Sommergeschäfts aus. Die Konkurrenz wird sehr groß sein“, sagt sie. „Und obendrein haben viele dieses Jahr kein großes Budget für den Urlaub.“
Strände nicht bereit
So wie ihr geht es vielen. Rund 400 Bars und Restaurants hat der 42 000-Einwohner-Ort. Selbst die Einheimischen besuchen sie nur spärlich. Kaum jemand bummelt über die Strandpromenaden, viele Lokale haben geschlossen und die Kellner desinfizieren die Tische häufiger, als sie Gäste bedienen.
Victor Anibal betreibt die Bar „Botánico“ am Arenal-Strand im benachbarten Jávea. Er habe das Gefühl, Spanien sei „gebrandmarkt“, sagt er. Der Strand vor seinem Lokal wirkt etwas verwahrlost. Die Spuren des Unwetters „Gloria“ vom Januar sind noch nicht beseitigt. Für wen auch. Die Vorbereitungen für die Sommersaison hinken hinterher. Fußstege müssen verlegt, Duschen angeschlossen, Strandbars aufgebaut und die Quallen vor der Küste abgefischt werden.
In den 33 Kommunen der Marina Alta sind fast 12 500 Berufstätige in Kurzarbeit. Allein in Dénia, Jávea und Calpe sind es über 60 Prozent. In Calpe, das rund 45 Autominuten von Dénia entfernt liegt, rechnet niemand mit den 90 000 Urlaubern pro Woche, die sonst im Juli und August die Stadt unter dem felsigen Wahrzeichen der Costa Blanca, dem Peñón de Ifach, besuchen. Aber man hofft auf die Solidarität der Deutschen, die hier sonst so gerne Urlaub machen. Jan von Parijs war früher Tourismusstadtrat von Calpe. Die attraktivsten Plätze könnten dieses Jahr nicht so überfüllt sein wie sonst, macht er Werbung für die Region. Wahrscheinlich können Urlauber diesen Sommer sogar einen Sitzplatz in der meist heillos überfüllten Tapas-Meile in Dénias Loreto-Straße ergattern.
Viele Vorschriften
Allerdings gibt es auch driftige Gründe gegen einen Spanien-Urlaub. „Spanien macht so viele Vorschriften, dass es einem schwerfällt, sich richtig zu verhalten“, sagt Patrick Neudecker. Der Deutsche blieb mit seiner Familie während der Krise in seinem Ferienhaus hängen. Stück für Stück sollen nun die Beschränkungen gelockert werden. „Es muss dann für alle ersichtlich sein, was geht und was nicht“, sagt Neudecker.
Immerhin hat die Regierung mit ihrer Ankündigung, wieder Ausländer ins Land zu lassen, Hoffnungen geschürt. „Ab Mitte September rechne ich wieder mit nordeuropäischen Tagesgästen. Wer hier ein Haus hat, wird sicherlich herkommen, um nach dem Rechten zu sehen“, sagt Michael Vietze, der ein kleines Gästehaus mit Restaurant im Inland der Region betreibt. Auch er rechnet mit einer heftigen Preisschlacht. Auch wenn die Touristen kommen sollten, bleibt die Frage, wie viel Geld sie im Land lassen.
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