Gefangen in Gütersloh

von Redaktion

VON WOLFGANG HAUSKRECHT

Düsseldorf – Für Armin Laschet war es der denkbar ungünstigste Zeitpunkt. In Nordrhein-Westfalen beginnen am Montag die Sommerferien – wobei die Schulen wegen der Corona-Welle bei Tönnies schon vergangenen Mittwoch geschlossen wurden. Aber die Urlaubsstimmung im Kreis Gütersloh ist endgültig dahin, die Stimmung am Tiefpunkt. Mit versteinerter Miene verkündete der CDU-Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens gestern den regionalen Lockdown. Vorerst gilt er nur bis 30. Juni, aber eine Verlängerung ist schon eingepreist.

„Wir hatten schon so viel Ärger durch den ersten Lockdown und jetzt soll das Ganze von vorne losgehen“, klagte Kai Drees, nachdem er die Neuigkeit erfahren hatte. Der Anwalt aus Steinhagen sieht seinen Sommerurlaub ein zweites Mal schwinden. „Wir haben schon im Frühjahr umbuchen müssen“, erzählt der 52-Jährige. Damals habe man fliegen wollen, nun soll es mit dem Auto nach Norderney gehen. „Aber wir haben von Leuten gehört, die nicht mehr dorthin fahren durften, weil sie aus dem Kreis Gütersloh kommen.“

Auch wenn Laschet gestern vor der Presse betonte, es gebe kein Ausreiseverbot aus dem Kreisgebiet, hat ihn die Realität längst überholt. Auf der Urlaubsinsel Usedom an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern wurden schon am Montag 14 Menschen aus Corona-Risikogebieten aufgefordert abzureisen – darunter auch mehrere Gäste aus dem Kreis Gütersloh.

Kostenlose Tests für alle im Kreis Gütersloh

Achim Froitzheim, Sprecher des Kreises Vorpommern-Greifswald, verwies auf die Verordnung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, wonach keine Personen aus Gebieten einreisen dürfen, in denen die Messlatte von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner gerissen wurde. Für den Kreis Gütersloh wies das Robert-Koch-Institut am Montag einen Wert von 263,7 aus. Laschet betonte zwar, nur 24 Personen außerhalb des Tönnies-Umfeldes seien als neu infiziert gemeldet worden, dazu kommen aber die über 1550 Erkrankten aus dem Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück. Nur wer ein ärztliches Zeugnis hat, coronafrei zu sein, darf also auf Usedom urlauben. Anwalt Kai Drees dürfte auf Norderney Ähnliches erwarten.

Laschet betonte, dass jeder Einwohner auf Wunsch einen kostenlosen Test bekommt. Alle Menschen in Alten- und Pflegeheimen würden automatisch getestet. Eine Blitzstudie soll zudem zeigen, inwieweit das Tönnies-Debakel auf die Normalbevölkerung übergegriffen hat. Alle Mitarbeiter und deren Familien befänden sich in Quarantäne, betonte Laschet.

Die Folgen des neuerlichen Lockdowns sind umfassend: Museen, Konzerthallen, Ausstellungen, Kinos, Fitnessstudios, Bars, Saunen, Indoor-Spielplätze, Schulen – alles wieder zu. Nur Restaurants bleiben offen, dürfen aber nur einen Hausstand pro Tisch bewirten. Freunde zu treffen, ist wieder verboten, auch im Freien. Laschet hat das Leben im Kreis Gütersloh in den Zustand des ersten Lockdowns im März zurückversetzt. Gleiches gilt seit gestern im Nachbarkreis Warendorf. Auch dort haben Tönnies-Mitarbeiter das Virus verbreitet. 72 Neuerkrankungen wurden allein am Montag gemeldet. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz lag gestern bei 68,4 Infizierten pro 100 000 Einwohner.

Kritik an Laschet: Lockdown zu spät

Für Armin Laschet ist die Lage heikel. Zwar begrüßten unter anderem Nordrhein-Westfalens SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Maßnahmen. Kutschaty warf Laschet aber zugleich einen „Schlingerkurs“ vor. Der Lockdown komme zu spät. Söder wiederum äußerte sich verwundert darüber, dass es kein Ausreiseverbot gibt. Bayern reagierte gestern prompt mit einem Beherbergungsverbot für Gäste aus deutschen Risikogebieten.

Der Lockdown sei „eine große Belastung für die Menschen“, die sich über die Lockerungen gefreut hätten und denen man „nun erklären muss: Es ist wieder beendet“, sagte Laschet. Die Maßnahmen dienten der Vorsicht. „Da, wo die Zahlen steigen, muss man entschlossen handeln.“ Wo die Lage unter Kontrolle sei, könne man lockern. „Diesen Kurs müssen wir durchhalten.“ Der Ministerpräsident warf Fabrikchef Clemens Tönnies mangelnde Kooperation vor. Tönnies hatte mit Verweis auf den Datenschutz die Herausgabe von Mitarbeiterdaten verweigert, die Behörde musste diese erzwingen. „Da wurde nicht kooperiert, sondern verfügt“, sagte Laschet.

Der Lockdown ist bis 30. Juni begrenzt, aber eine Verlängerung sei möglich, sagte Laschet. Ob es so kommt, hängt davon ab, ob sich das Coronavirus noch weiter ausbreitet.

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