Der Tag, als die DDR die D-Mark bekam

von Redaktion

GASTBEITRAG Theo Waigel über den Beginn der Währungsunion am 1. Juli 1990

Der Vertrag über die Währungsunion schuf im Mai 1990 Fakten für die Deutsche Einheit, die schon wenig später im Oktober folgen sollte. Der Vertrag regelte die Übernahme der D-Mark als Zahlungsmittel in der DDR. Ab 1. Juli konnten DDR-Bürger ihre Ostmark in D-Mark umtauschen. „Löhne, Gehälter, Stipendien, Renten, Mieten und Pachten sowie weitere wiederkehrende Zahlungen“, so der Vertrag, wurden im Verhältnis 1:1 umgetauscht, Forderungen und Verbindlichkeiten im Verhältnis 2:1. Auch für größere Guthaben galt der Tauschkurs von 2:1. Als damaliger Bundesfinanzminister hat Theo Waigel (CSU) die Währungsunion vorbereitet. In einem Gastbeitrag für unsere Zeitung zieht der heute 81-Jährige Bilanz.

VON DR. THEO WAIGEL

München – Mit der Einführung der D-Mark in der DDR war die umfassende Geltung der sozialen Marktwirtschaft für ganz Deutschland verbunden. Die Übernahme unserer Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftsordnung ermöglichte die Einführung der D-Mark als Zahlungsmittel in der damals noch selbstständigen DDR. Die Deutsche Bundesbank hatte damit die Währungshoheit über ganz Deutschland erlangt. Das war die Voraussetzung dafür, unsere stabile und bewährte D-Mark auch in den neuen Bundesländern als Zahlungsmittel zu nutzen.

Wir hatten keine Zeit für lange Stufenpläne. Michail Gorbatschow war nur noch eineinhalb Jahre im Amt, für die Wiedervereinigung gab es nur ein kurzes Zeitfenster. Die DDR hätte es aus eigener Kraft nicht geschafft, ihre Probleme zu lösen. Über 20 Milliarden US-Dollar betrug ihre Auslandsschuld, im Inland waren es 140 Milliarden Ostmark, die Belastung pro Einwohner betrug umgerechnet 6875 D-Mark. Die Produktivität der Volkswirtschaft lag unter 30 Prozent, der Kapitalstock war unterentwickelt, die Infrastruktur notleidend, die Umweltverschmutzung in den Städten und manchen Regionen gigantisch.

Der Chefvolkswirt der DDR, Gerhard Schürer, legte Erich Honecker und Egon Krenz eine Analyse vor, nach der die DDR in Kürze zahlungsunfähig sein werde und der Lebensstandard der Bevölkerung um 25 bis 30 Prozent gesenkt werden müsse. Die DDR war abhängig von billigen Energielieferungen aus der Sowjetunion und von westlicher Kapitalhilfe, insbesondere der Bundesrepublik. Es war ein Versäumnis, diese bittere Bilanz den Bürgerinnen und Bürgern der DDR nicht deutlich genug erklärt zu haben. Sonst hätten Unzufriedenheit und Klagen 30 Jahre später keine Resonanz und der Zulauf zu AfD und Linken wäre geringer.

Angesichts dieser Eröffnungsbilanz sieht die Zwischenbilanz nach 30 Jahren nicht schlecht aus. Die verfügbaren Einkommen betragen fast 90 Prozent des Westniveaus, wenn man die etwas günstigeren Lebensverhältnisse mitberücksichtigt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei etwa 7 Prozent, die Rentner sind in Ostdeutschland nicht schlechter gestellt als im Westen. Um die Umwelt ist es in Ostdeutschland wesentlich besser gestellt als vor drei Jahrzehnten, die Lebenserwartung liegt um fünf Jahre höher als damals, die Suizidrate ist drastisch zurückgegangen und seit dem Jahr 2013 zieht es mehr Menschen von Westdeutschland nach Ostdeutschland als umgekehrt. Auch die Zufriedenheit mit dem jetzigen Leben ist stärker ausgeprägt als je zuvor. Die Wirtschaftskraft ist von 43 Prozent im Jahr 1990 auf 75 Prozent des westdeutschen Niveaus im Jahr 2018 gestiegen, die Exportquote steigerte sich von 12 Prozent in 1995 auf 34 Prozent.

Die Menschen in Ostdeutschland haben in den 90er-Jahren Ähnliches geleistet wie die Bürger im Westen im Wirtschaftswunder-Jahrzehnt der 50er-Jahre. In eine ehrliche Gesamtbilanz gehört noch die Feststellung, dass drei Millionen Menschen von 1949 bis 1989 die DDR verlassen haben und in die Bundesrepublik Deutschland gegangen waren. Sie haben zum Aufbau der Bundesrepublik Deutschland und zum Bruttosozialprodukt Entscheidendes beigetragen. Ihre Leistung gehört eigentlich auf die Habenseite der ostdeutschen Bilanz.

Deutschland hat in den letzten 30 Jahren jedes Jahr zwischen 4 und 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Einheit ausgegeben. Trotzdem haben wir 1997 und 1998 die Kriterien von Maastricht erreicht. Mit einem Finanzierungsmix aus Einsparungen, Steuer- und Abgabenerhöhungen und einer notwendigen stärkeren Kreditaufnahme wurden die Wiedervereinigungskosten finanziert. Trotz dieser gewaltigen Herausforderung stehen wir heute besser da als fast alle unsere Nachbarn. Das sollte uns an diesem Jubiläumstag veranlassen, dem Schicksal und dem Herrgott dankbar zu sein und auch ein wenig stolz auf drei Jahrzehnte guter deutscher Geschichte.

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