„Mit der Mark kamen die Autohändler“

von Redaktion

INTERVIEW Otto Bürger aus Oberschleißheim war 1990 für die Bundesbank in Dresden und erlebte aufregende Monate

Otto Bürger, 81, aus Oberschleißheim im Landkreis München war vor 30 Jahren mittendrin. Der Bundesbankamtsrat, Dienststelle München, lebte 1990 fünf Monate in Dresden. Er verwaltete das Geld, das an die Ost-Banken verteilt wurde. Einmal musste er sogar vorm Tresor schlafen, um die gigantischen D-Mark-Vorräte zu bewachen.

Was genau war im Juli 1990 Ihre Aufgabe?

Ich war zuständig für die Geldversorgung von Dresden und Umgebung. Wir haben am 1. Juli, das war ein Sonntag, die verschiedenen Banken mit der D-Mark versorgt. Mein Dienstbeginn war an diesem historischen Tag um 5.30 Uhr. In meinem Tagebuch, das gerade neben mir liegt, habe ich geschrieben: „Hatten wahnsinnig viel auszuzahlen.“ Viele Menschen standen am Sonntag schon in aller Früh vor den Banken in Dresden.

In Berlin war der Ansturm bei der Deutschen Bank am Alexanderplatz so groß, dass Scheiben zu Bruch gingen. Wie war die Stimmung in Dresden?

So schlimm war es bei uns nicht, aber alle wollten die D-Mark. Das Ganze hatte natürlich auch eine Schattenseite: Viele Lebensmittel waren für die Dresdner ab dem 1. Juli 1990 plötzlich teurer. Es gab keine staatlich subventionierten Preise mehr. Ich habe in meinen Unterlagen noch stehen, was die Produkte dann gekostet haben. Roggenbrot 3,34 D-Mark pro Kilo, Weißbrot über vier Mark. Und ein Liter Milch hat plötzlich 1,29 Mark gekostet, davor waren es 66 Pfennig Ost-mark. Für mich enttäuschend an diesem Tag war der Besuch im Ratskeller.

Was ist da passiert?

Der Ratskeller ist ein Wirtshaus in Dresden, da war ich mit meinen Kollegen oft. Kurz vor der Währungsumstellung habe ich die Bedienung gefragt: Wie ist Ihre Preisgestaltung ab dem 1. Juli?

Was hat sie geantwortet?

Die Bedienung hat mich mit großen Augen angeschaut und gesagt: „Wir stellen natürlich 1:1 um.“ Aus Ostmark wird D-Mark. So war es dann auch am 1. Juli, als wir nach der Arbeit essen waren. Wir haben die gleichen Preise wie früher bezahlt, nur in D-Mark. Die Folge war, dass immer weniger Menschen zum Essen gegangen sind. Es war den Menschen einfach zu teuer, obwohl die Einheimischen früher gerne essen gegangen sind. Zur Einordnung: Auf dem Schwarzmarkt gab es einen Umtauschkurs, der lag bei 3 zu 1. Für drei Ostmark hat man eine D-Mark bekommen. Kurz vor dem 1. Juli 1990 haben die Vietnamesen, die in Dresden stark vertreten waren, auf ihrem Schwarzmarkt sogar einen Kurs von 7 zu 1 angeboten.

Welche Erinnerungen an den Sommer 1990 haben Sie noch?

In Dresden hat sich nach Einführung der D-Mark sofort eine ganz neue Klasse niedergelassen – die Autohändler. Die haben ihre alten Autos oder manchmal auch ihre Schrottkarren aus der BRD rübergefahren – und die Dresdner mit ihren neuen D-Mark-Scheinen waren ganz begierig. Außerdem haben eine Menge fahrbarer Stände aufgemacht, an denen man Reisen nach Italien oder auch nach Bayern kaufen konnte. Es war wie 1948 nach der Währungsreform. Die Menschen freuten sich über das neue Geld und wollten es ausgeben.

Für Sie waren es bestimmt anstrengende Tage.

35 Tage an Überstunden habe ich in dieser Zeit zusammenbekommen. Da war man bis zum Gehtnichtmehr gefordert. Dienstlich war das eine große Herausforderung. Die D-Mark ist uns zum Glück nie ausgegangen. Wir haben davor wochenlang mit Geldtransporten aus der BRD Geld rübergeschafft und bei uns im Tresor eingelagert.

War das Geld gut bewacht?

Wir hatten natürlich unseren Tresor, aber einmal konnte ich ihn nicht vollständig abschließen. Irgendwas hat nicht funktioniert. Ich habe eine Nachtschicht eingelegt – und vorsichtshalber vor dem Tresor geschlafen. Davor war ich aber noch bei der Polizei, habe denen die Situation geschildert und habe dann einen Polizisten als Wachmann bekommen, der mich in der Nacht unterstützt hat. Passiert ist nichts.

Haben Sie am 1. Juli 1990 nach Feierabend auf die D-Mark angestoßen?

Nein, das haben wir schon am Vorabend mit einem Glas Sekt gemacht. Am 1. Juli war ich nach dem Ratskeller in der Schaubühne, wo „Faust“ gespielt wurde. Die Karten habe ich im Vorverkauf erworben – für neun Ostmark. Im Tagebuch habe ich geschrieben: „Es war wieder gewaltig. 22 Uhr war Schluss und ich war fix und fertig.“ So war das damals.

Interview: Stefan Sessler

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