Grafenwöhr bangt um seine Amerikaner

von Redaktion

VON MARC BEYER

Grafenwöhr – In der Elvis-Presley-Straße müsste dringend der Rasen gemäht werden. Es wächst und wuchert in etlichen Gärten, das Gras steht kniehoch, der Löwenzahn sprießt. Wie es halt aussieht in Häusern, deren Rollläden heruntergelassen sind und die schon länger nicht bewohnt zu sein scheinen. Es ist ein Kommen und Gehen, so war es immer schon bei der US-Army in Grafenwöhr. Jetzt aber hoffen die Menschen in der Oberpfalz, dass das Gehen nicht zunimmt.

Seit Donald Trump einen großen Truppenabzug angekündigt hat, rumort es an vielen Standorten. Auch in Grafenwöhr. 75 Jahre sind die Amerikaner hier stationiert, längst sind sie gute Nachbarn, oft auch Freunde. Aber mit der Freundschaft zwischen Deutschen und Amerikanern ist es schwieriger geworden, seit der Präsident gewechselt hat. Dinge, die undenkbar schienen, werden plötzlich schmerzhaft konkret. Und dennoch begegnet man in Grafenwöhr den Plänen mit robustem Optimismus.

Edgar Knobloch ist jetzt ein gefragter Mann. Radio France ist schon bei ihm gewesen, die Nachrichtenagentur Reuters, die 600 Sender weltweit beliefert, auch Südtirol TV. Wer an Grafenwöhr denkt, der denkt nicht zuerst an das schöne Rathaus, ein spätgotisches Kleinod aus dem Jahr 1462, in dem Bürgermeister Knobloch seine Gäste empfängt. Die Stadt ist gleichbedeutend mit der Army. Selbst Elvis Presley war hier in den späten Fünfzigern stationiert.

Die Argumente, warum die Stadt und die Soldaten zusammengehören, hat Edgar Knobloch oft vorgetragen, man kennt sie jetzt in ganz Europa. Zum Beispiel der Truppenübungsplatz. „Der ist einmalig, sowas hat man woanders nicht.“ 230 Quadratkilometer misst er, was nicht nur imposant ist, sondern auch den charmanten Nebeneffekt hat, dass Grafenwöhr von den Ausmaßen zweitgrößte Stadt Bayerns ist. Im Laufe der Jahre sei das Areal stetig ausgebaut worden, sagt Knobloch: „Die Amerikaner sprechen selber vom modernsten weltweit.“

Er führt dann noch die 41st Field Artillery Brigade an, die gerade erst in der Oberpfalz aufgebaut wurde und bis auf 1500 Soldaten wachsen soll, das positive Feedback von Außenminister Pompeo beim Besuch im Herbst und natürlich die Investitionen. Allein die amerikanische Schule hat über 30 Millionen Euro gekostet, bis jetzt. Macht man das, wenn man den Standort runterfahren will, fragt Knobloch: „Ich bin überzeugt, wir sind nicht betroffen.“

Das ist der nüchterne Ansatz. Die Amerikaner werden schon bleiben, schließlich hat es für sie Vorteile. Umgekehrt profitieren die Gastgeber aber natürlich auch. Die Army ist, auch wenn das nicht so schön klingt wie „guter Freund“, ein Wirtschaftsfaktor. 3000 Deutschen bietet sie einen Job, 660 Millionen Euro gibt sie jedes Jahr aus. Zu den 11 000 Soldaten kommen Familien, Lehrer, Mitarbeiter von Privatfírmen. Insgesamt leben 30 000 Amerikaner in der Gegend. Der Privatkonsum beträgt 60 bis 70 Millionen Euro. Am Wochenende wird bei Aldi und Netto viel Englisch gesprochen. Das liegt nicht daran, dass die Einheimischen quasi zweisprachig aufwachsen.

Eines sei ihm noch wichtig, sagt Knobloch. Die Gastronomie hier sei sehr lebhaft, üppiger und vielfältiger, als man sie in einer 6500-Einwohner-Stadt erwarten würde. „Über 30 Betriebe. Nur ein Franzose fehlt. Das können Sie so schreiben.“ Asiaten, Tex-Mex, ein karibischer Schnellimbiss. Aber auch traditionelle Wirtshäuser. „Der Amerikaner“, weiß Knobloch, „liebt die bayerische Lebensart.“

Er meint nicht nur die Art Liebe, die durch den Magen geht. Nicht jeder will in einer Siedlung wie Netzaberg leben, wo ein Fertighaushersteller 830 Unterkünfte hingesetzt hat und wo es nicht nur in der Elvis-Presley-Straße am helllichten Tag unwirklich still ist. Wer kann, sucht sich eine Wohnung außerhalb der US-Unterkünfte. Weil die Army die Kosten trägt, sind die Gäste beliebte Mieter. Aber auch verantwortlich für ein Preisniveau, bei dem es Grafenwöhr mit München aufnehmen kann. 1000 Euro für 100 Quadratmeter sind fast noch moderat.

Schon Barack Obama dachte 2012 über einen Abzug aus Deutschland nach. Passiert ist nichts. Auch deshalb, sagt Alexander Graser, sei er jetzt „vom Prinzip her erst mal gelassen“. Dabei hängt bei ihm nicht wenig von den Amerikanern ab. 150 Gebrauchtwagen kauft das Autohaus Graser jedes Jahr in den USA, lässt sie verschiffen und verkauft sie hier an Militärangehörige, die sie irgendwann mit zurück in die Heimat nehmen. Wer hier stationiert ist, der kann wenig anfangen mit einem deutschen BMW.

150 Gebrauchtwagen, das ist eine Hausnummer. Und da redet Graser noch nicht vom Kundendienst. 15 bis 20 Prozent des Werkstattumsatzes hat er US-Soldaten zu verdanken. Da kann man schon mal anfangen zu rechnen. Ganz wegbrechen wird dieses Fünftel nicht. Kein Mensch, nicht mal Trump, redet davon, den Standort aufzulösen. Vielleicht geht von den 15, 20 Prozent ein kleiner Teil weg. Das wäre unschön, aber zu verkraften, rein geschäftlich. Also wartet Graser ab: „Ich kann nicht sagen, ich stelle zwei Mechaniker aus, weil vielleicht die Amerikaner gehen.“

Grafenwöhr macht an diesem Tag einen sehr entspannten Eindruck. Wenn auf dem Übungsplatz nicht gerade eine Haubitze abgefeuert wird, herrscht friedliche Ruhe. Gut, ein Wirt am Marktplatz lehnt mit hektischer Gestik jeden Kommentar ab, als habe er Angst, dass Trump persönlich ihn sich zur Brust nehme. Aber die meisten sehen es so unverkrampft wie der Bürgermeister und der Autohändler. Oder wie Regina Click.

Sie stellt sich vor als „eine von denen, die es nicht so skeptisch sehen“. Und Frau Click ist Expertin, wenn es um die Army geht. 24 Jahre hat sie jenseits der Umzäunung gearbeitet, „beim Amerikaner“. Regina Click sagt oft „der Amerikaner“, das ist nicht abwertend gemeint. Sie ist selber mit einem verheiratet, hat Freundinnen mit US-Ehemännern, und nachdem sie fast ein Vierteljahrhundert Souvenirs verkauft hat, hat sie sich vor zehn Jahren in der Stadt selbstständig gemacht: „Um unabhängiger zu sein.“ Vom Amerikaner.

Sie verkauft jetzt überwiegend Kerzen in allen Duftnoten. Ausnahmslos US-Produkte, die bei den Kunden aus Übersee sehr beliebt sind, aber eben auch bei den Einheimischen. Die Kalkulation ist ganz einfach: Es kaufen mehr Deutsche amerikanische Duftkerzen als Amerikaner einen Weißwursttopf.

Regina Click, eine kleine Frau mit Minnie-Mouse-Maske, sagt, es gebe viele Leute, die so denken wie sie. Grafenwöhr werde „einer der letzten Standorte“ sein, die von einem Abzug betroffen wären. Der Übungsplatz, die Investitionen, die Freundschaften. Die Leute hier klingen, als hätten sie ihre Argumente abgestimmt. Aber wahrscheinlich haben sie sich an die Debatte einfach nur gewöhnt.

Die Frage ist halt, welche Rolle nüchterne Argumente spielen, wenn das letzte Wort jemand wie Trump hat. Man würde gerne wissen, wie die US-Seite denkt, aber man erfährt es nicht. Ein Sprecher verweist auf den Dienstweg, bis hinauf nach Washington.

Aber wenn man die Leute hört und ihre Hymnen auf die Freundschaft, wenn man die Übersetzungen liest auf den Speisekarten und dann noch den Bürgermeister vor sich sieht, wie er beim jährlichen Sautrogrennen mit einem US-General das Kentern vermeidet, kann man sich vorstellen, dass viele Amerikaner gerne bleiben würden. Und dass mancher heimlich die Faust ballt. Hinter der Tür seines deutschen Fertighauses.

Artikel 3 von 3