Berlin/München – Schnell und unbürokratisch sollten Hilfsgelder in der Corona-Krise ausgezahlt werden. Dabei haben einige die Hand aufgehalten, denen die Gelder nicht zustehen. „In der islamistischen Szene hat sich dieses Geschäftsmodell offenbar schnell herumgesprochen“, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin kürzlich nach einer Großrazzia, die auch eine salafistische Moschee betraf. Der Verdacht: Corona-Hilfszahlungen könnten sogar zur Finanzierung des Terrorismus missbraucht worden sein.
Subventionsbetrug scheint in manchen Kreisen ein neuer deutscher Volkssport zu sein. Ein besonders dreister Krimineller ging den Ermittlern Mitte Mai ins Netz: Dem 30-Jährigen, der in Niedersachsen festgenommen wurde, wird versuchter Betrug in Millionenhöhe vorgeworfen. Laut Staatsanwaltschaft München I hatte er in 23 Fällen bei der Landeshauptstadt München und den Regierungen von Schwaben und Oberbayern Corona-Soforthilfen in einer Gesamthöhe von über einer Million Euro beantragt – mit unwahren Angaben. Dabei verwendete er für die Antragstellung entweder falsche Identitäten oder er täuschte unter dem Namen realer Unternehmen aus Bayern die Voraussetzungen einer Corona-Soforthilfeberechtigung vor.
In allen Bundesländern ermitteln die Behörden derzeit wegen Betrugs. Eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bei Landeskriminalämtern, Staatsanwaltschaften und Landesministerien zeigt: Die Aufarbeitung hat gerade erst begonnen.
Wie groß ist der bisher entstandene Schaden?
Täglich kommen neue Verfahren hinzu, zu dem entstandenen Schaden können Polizei und Justiz in vielen Fällen noch keine endgültigen Angaben machen. Laut Recherchen der dpa belaufen sich die Schätzungen bundesweit auf knapp 22 Millionen Euro. In Bayern entstand bisher ein Schaden von mindestens 1,7 Millionen Euro. „Bei Anträgen von weiteren 2,2 Millionen Euro besteht zudem der Verdacht auf falsche Angaben“, sagte Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) kürzlich.
Von der niedersächsischen Investitions- und Förderbank hieß es, die Schadensumme belaufe sich auf etwa 2,9 Millionen Euro. Das Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt ließ wissen, dass von dem geschätzten Schaden von 2,2 Millionen Euro bereits 38 000 Euro zurückgezahlt worden seien. Das Berliner Landeskriminalamt bezifferte den potenziellen Schaden auf etwa zehn Millionen Euro.
Wie viel Geld wurde in Bayern ausbezahlt?
Kurz vor Ende der Antragsfrist sprach Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) Ende Mai von 466 000 bearbeiteten Anträgen (wovon 316 000 bewilligt wurden) und Corona-Soforthilfen in Höhe von 2,1 Milliarden Euro, die ausbezahlt wurden.
Wie viele Betrugsfälle gibt es bundesweit?
Die Zahl der bestätigten Betrugsfälle kann derzeit weder auf Landes- noch auf Bundesebene verlässlich benannt werden, weil die Ermittlungen vielerorts noch laufen. Laut den Angaben der Behörden gab es Anfang Juli bundesweit mindestens 5100 Betrugsverdachtsfälle.
Die Zahl ist nur bedingt aussagekräftig. Darin sind etwa keine Fälle aus Nordrhein-Westfalen enthalten. Das dortige Landeskriminalamt konnte bisher keine Angaben zu Verdachtsfällen machen. Ein Verdachtsfall ist nicht gleich ein Betrug oder eine sonstige strafbare Handlung. In Nordrhein-Westfalen hatten sich Ende Mai laut einem Sprecher der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime beispielsweise aus etwa 900 Einzelanzeigen im Zusammenhang mit Fake-Seiten bis kurz vor Ende der Auswertung rund 11 tatsächliche Betrugsfälle ergeben.
Die Zahl der Verdachtsfälle variiert zudem stark von Land zu Land: In Berlin meldete das Landeskriminalamt Anfang Juli etwa 929 Ermittlungsvorgänge, aus Thüringen waren rund 50 Fälle bekannt. Zuletzt gerieten auch kriminelle Familienclans ins Visier der Ermittler.
Wie läuft der Betrug ab?
Die Behörden berichten von vielen Maschen. Die Betrüger machen falsche Angaben zu ihrer Situation. Einige Unternehmen, für die Gelder beantragt werden, existieren gar nicht oder sind bereits lange insolvent, andere beantragen Hilfen mehrfach. Manch einer beantragte Hilfen für eine fremde Firma, gab aber das eigene Konto an. Andere versuchen, mit den Daten anderer Menschen an die Hilfen zu kommen – via Internet- oder Telefonbetrug oder über Trickdiebstahl an der Haustür. Häufiger wurde versucht, mithilfe sogenannter Fake-Seiten, die meist offizielle Online-Auftritte imitieren, an Daten zu gelangen. Die Seiten werden häufig im Ausland gehostet. Bundesweit waren den Behörden Ende Mai nach dpa-Recherchen mindestens 18 solcher Seiten in über der Hälfte aller Bundesländer bekannt. Auch mithilfe von gefälschten E-Mails versuchten Betrüger, Daten abzugreifen.
Wie fliegt der Betrug auf?
Der Betrug fällt auf ganz unterschiedliche Weise auf: Oft stellen die Bewilligungsbehörden – häufig Förderbanken auf Landesebene – Unstimmigkeiten im Antrag fest. Teilweise melden auch die Banken, bei denen die Antragsteller ihr Konto haben, dass ihr Kunde keinen Anspruch auf die Gelder hat, etwa weil er schon lange insolvent ist. Andernorts haben sich Bürger bei den Behörden gemeldet, weil sie vermuteten, Nachbarn hätten die Hilfen zu Unrecht erhalten.
Welche Strafen drohen?
Mögliche strafrechtliche Vergehen sind Geldwäsche, Subventionsbetrug, Fälschung beweiserheblicher Daten oder Ausspähen von Daten. Je nachdem drohen Geld- und unter Umständen Freiheitsstrafen – in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahre.
Können die Verantwortlichen gefasst werden?
In vielen Fällen sind die Verdächtigen bekannt, die per Antrag ihre Identität preisgegeben haben. In anderen Fällen laufen Ermittlungen gegen unbekannt.
Wie wird versucht, den Betrug zu verhindern?
Nach Bekanntwerden der ersten Fälle wurde nachgebessert: Bei der Antragstellung werden teilweise spezielle Prüfteams eingesetzt, vielerorts sind Prüfverfahren oder die Zahl der stichprobenartigen Überprüfungen ausgebaut worden. Gleichzeitig haben Polizei und Bewilligungsstellen falsche Internetseiten publik gemacht und in den sozialen Medien vor den Tricks gewarnt, Fake-Seiten wurden abgeschaltet, ausgezahlte Hilfen wurden häufig sichergestellt. Außerdem kann die Finanzverwaltung im kommenden Jahr prüfen, ob die Soforthilfen korrekt angegeben und rechtmäßig beantragt wurden.
A. POLLMANN, R. BOSSMEYER, K. RIMPEL & S. SESSLER