Die dunklen Geheimnisse des Jan Marsalek

von Redaktion

VON THOMAS MAGENHEIM-HÖRMANN

München – An Villengegenden herrscht in München kein Mangel. Manches Anwesen ist so edel, dass kein Namensschild verrät, wer hinter dem hohen und dicht verwachsenen Zaun wohnt. So ist es an der Prinzregentenstraße 61. Wer dort klingeln will, findet nicht einmal eine Glocke. Bei Google Street View ist die Villa vernebelt, als hätte ihr Bewohner etwas zu verbergen. Die beiden Grundstückstore, von denen sich eines in Richtung russisches Generalkonsulat und das andere Richtung Stuck-Villa öffnet, sind fest verschlossen.

Nicht gerade bescheiden residiert haben soll dort bis vor Kurzem Deutschlands mutmaßlich meistgesuchter Manager, Jan Marsalek. Es gibt auch Leute, die wissen wollen, dass der 40-jährige Ex-Vorstand des Pleitekonzerns Wirecard am Isartor gewohnt hat. Vielleicht stimmt beides.

Genaues weiß man in kaum einer Hinsicht, wenn es um den gebürtigen Österreicher geht, der mit 30 Jahren begann, die operativen Geschäfte des tief gefallenen Dax-Konzerns zu managen. Die Chancen sind groß, dass diese Geschäfte in weiten Teilen frei erfunden waren. Marsalek zur kreativen Buchführung befragen kann man nicht. Er ist untergetaucht und seit vier Wochen auf der Flucht. Sein Münchner Rechtsanwalt Frank Eckstein antwortet längst nicht mehr auf Anfragen.

Schon als der von Wirecard am 18. Juni freigestellte und dann fristlos gefeuerte Vorstand beim Zahlungsdienstleister aus Aschheim im Landkreis München noch in Amt und Würden war, hat er sich rar gemacht. Bei Bilanzvorlagen oder Hauptversammlungen konnte man ihn an der Seite von Konzernchef und Wirecard-Mitgründer Markus Braun sehen – aber auch nicht mehr. Das Wort ergriffen hat der Anzugträger mit dem betonten Kurzhaarschnitt, der seit gut einem Jahrzehnt als Vertrauter und rechte Hand Brauns gilt, praktisch nie.

Wer mehr über den Menschen erfahren will, ist auf Anekdoten angewiesen. So soll der Topmanager des Konzerns, der bargeldloses Bezahlen zum Geschäftszweck erhoben hat, Kartenzahlung gescheut haben wie der Teufel das Weihwasser. Das klingt im Nachhinein insofern plausibel, als jeder Spuren hinterlässt, der mit Karten bezahlt und Marsalek spurlos verschwunden ist.

Eine gute Quelle, um sich ein Bild des flüchtigen Managers zu machen, ist die britische Zeitung „Financial Times“ (FT). Sie und ihr Reporter Dan McCrum recherchieren seit fünf Jahren von Aschheim über Singapur bis Dubai und auf die Philippinen an Wirecard, Braun und Marsalek. McCrum und die FT haben mit Geschäftspartnern, Behörden und allerlei Personen auch aus Geheimdienst-Milieus gesprochen, die aus nachvollziehbaren Gründen anonym bleiben wollen. Fasst man die Erkenntnisse über Marsalek zusammen, ergibt das das Bild eines Mannes, der in zwei möglicherweise nicht komplett getrennten Welten gelebt hat.

Die eine Welt war die von Wirecard, für die der Ex-Vorstand vor allem in Asien ein Netz von Geschäftspartnern und -firmen geknüpft hat, von denen man heute annehmen muss, dass sie wie ein angebliches Treuhandkonto mit gut 1,9 Milliarden Euro nur erfunden waren. Über drei dieser Partnerfirmen mit Sitz in Singapur, Dubai und Manila auf den Philippinen sind ausweislich der Wirecard-Bilanzen die Hälfte aller angeblichen Geschäfte geflossen. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, wurden Potemkinsche Dörfer gebaut, wobei vieles auf Marsalek als Architekten hinweist.

Die zweite Welt, in der Marsalek sich bewegt haben soll, ist die noch zwielichtigere der Geheimdienste, was erklären könnte, warum er nicht nur untertauchen, sondern auch noch falsche Spuren legen konnte. Zeitweise wurde angenommen, der Mann mit Hang zum Luxus habe sich auf die Philippinen abgesetzt und sei von dort weiter nach China gereist. Heute weiß man, dass die Computer philippinischer Behörden mit falschen Daten gefüttert wurden und Marsalek im Juni nicht nach Manila geflogen ist. Ganz sicher ist er nicht mit oder zu seiner philippinischen Ehefrau gejettet, wie dortige Behörden einmal erklärt hatten. Denn er ist nicht verheiratet. Seine langjährige Freundin wohnt dem Vernehmen nach in Schwabing und ist keine Filipina.

Ob der Mann mit dem Faible für Geheimdienste nur damit angegeben hat, die Formel für das Nervengift Nowitschok zu kennen, mit der der russische Geheimdienst seine Gegner ausschaltet, weiß man nicht genau. Die FT aber will Zeugen gesprochen und Dokumente im Besitz haben, die das beweisen. Gleich ums Eck von Marsaleks Münchner Stadtresidenz liegt das Feinkostrestaurant Käfer. Dort soll er 2017 gegenüber Gesprächspartnern damit geprahlt haben, die kurz zuvor vom Terrorregime IS zurückeroberte antike Ruinenstadt Palmyra auf Einladung des russischen Militärs besucht zu haben.

Im Februar 2018 schließlich soll Marsalek laut FT in seiner Villa über das Rekrutieren einer 15 000 Mann starken Söldnermiliz im Bürgerkriegsland Libyen schwadroniert haben, um sie zur Grenzsicherung gegen Flüchtlingsströme aus Afrika zu verwenden. Vieles davon klingt nach der überbordenden Fantasie eines realitätsfremden Drehbuchautors aus Hollywood. Aber bislang hat sich so ziemlich alles bewahrheitet, was von der FT enthüllt wurde.

Zudem ist auch die österreichische Zeitung „Die Presse“ auf Kontakte Marsaleks in die Welt der Spione gestoßen. Demnach hat er Geheimdienstmaterial beschafft und an die rechtspopulistische FPÖ weitergereicht. Hinweise gibt es auch, dass sich die Sphären des Dax-Konzerns und Bösewichten gekreuzt haben. So steht Wirecard seit Jahren unter Geldwäscheverdacht. Die Justiz ermittelt deswegen und auch wegen schwerem Betrug, nachdem als sicher gilt, dass real existierende dreistellige Millionensummen in dunkle Kanäle abgezweigt wurden. Doch das ist noch nicht alles.

Der Münchner Anlegeranwalt Peter Mattil vertritt Mandanten, denen Anlagebetrüger teils zweistellige Millionensummen aus den Rippen geleiert haben. „Diese Verbrecher haben öfter die Wirecard Bank als kontoführendes Institut verwendet“, erklärt Mattil. Bei anderen Banken seien sie abgeblitzt, aber bei der Wirecard Bank konnte auch ein Konto eröffnen, wer von fernen Ländern wie Belize aus operiert habe – und das ohne Geldwäschekontrollen oder entsprechende Verdachtsanzeigen.

Wer die Drahtzieher hinter dem mindestens seltsamen und möglicherweise kriminellen Gebaren von Wirecard waren, müssen Staatsanwälte noch ermitteln. Ein Wirecard-Geschäftsführer aus Dubai sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft. Er hat sich gestellt und könnte als Kronzeuge dienen. Ex-Chef Braun, der gegen fünf Millionen Euro Kaution auf freiem Fuß ist, hat mittlerweile eine Armada von fünf Rechtsanwaltskanzleien aufgeboten, was auf einigen Verteidigungsbedarf deutet.

Die meisten und drängendsten Fragen hätten die Ermittler aber wohl an Jan Marsalek.

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