So feiert München den Corona-Sommer

von Redaktion

VON ANDREAS THIEME

München – Auch nach Stunden in der Sonne, nach diversen Gläsern Wein und einem Abend, an dem er viel getanzt und gelacht hat, bringt Sebastian D. (23) die Situation auf den Punkt: „Wo sollen wir denn sonst hin?“, fragt der Anwalt. Es ist Montagabend, 23.30 Uhr. Mit seinen Freunden ist Sebastian D. am Gärtnerplatz unterwegs – wie täglich hunderte andere Münchner. Seit vielen Jahren trifft man sich hier abends zum Trinken und zum Feiern. Doch jetzt? Ist der Platz zum Party-Hotspot der Landeshauptstadt geworden. „Wir lieben es“, sagt Sebastian D.

„Es ist kaum noch auszuhalten“, findet Anwohnerin Lisa B. (29). Sie wohnt 50 Meter entfernt an der Corneliusstraße im vierten Stock. Vor dem Mehrfamilienhaus hat das Baureferat vor Kurzem zwei mobile Toiletten aufgestellt. „Meine Fenster kann ich jetzt nicht mehr öffnen. Nachts schlafe ich nur noch mit Ohrstöpseln“, sagt Lisa B. „Mir stinkt’s gewaltig.“

Sebastian D. hat dafür kein Verständnis. In der rechten Hand hält er eine Frisbee, in der linken ein Glas Wein. Hinter ihm wummern Bässe, Mülleimer quillen über. 500 Münchner feiern am Gärtnerplatz. „Die Polizei kommt oft schon um 21 Uhr. Das ist viel zu früh“, kritisiert D. „Die Anwohner sollen sich entspannen. Wir wollen hier doch nur in Ruhe feiern.“

Damit das so bleibt, hat der Stadtrat längst beschlossen, den Kommunalen Außendienst auf Streife zu schicken – am Wochenende sogar bis 6 Uhr morgens, zur Unterstützung der Polizei. Aus einem Kleinbus steigen die uniformierten Männer und Frauen am Montagabend aus und stellen sich in Zweierreihen hintereinander. Dann gehen sie den Gärtnerplatz ab.

Es ist eine unwirkliche Szene: Hier die Ordnungshüter, die mit ihren dunklen Uniformen fast militärisch wirken. Davor, am Brunnen, tanzen Mädchen in Miniröcken. Ihre Freunde tragen Flip-Flops, die Außendienstler Stiefel. Doch zu Ausschreitungen kommt es an diesem Montag nicht, der Abend verläuft ruhig. Gegen Mitternacht kreisen drei Polizeistreifen um den Gärtnerplatz. Sie checken kurz die Lage, fahren nach einigen Minuten aber wieder weiter.

Doch das läuft nicht immer so. Streifenwagen neben dem Party-Volk: Dieses Bild hat die Corona-Zeit in München geprägt. Denn teilweise geht es zu wie am Ballermann: Statt auf Konzerten oder in der Allianz Arena sind die Hundertschaften der Polizei jetzt im Englischen Garten, an der Isar oder am Gärtnerplatz unterwegs – erst am Samstag musste der Platz wieder geräumt werden, bestätigt Polizeisprecher Florian Hirschauer. „Zu laut, zu eng“ sei es zugegangen. Aber: Meist laufen die Polizeieinsätze „geordnet und friedlich ab“, sagt Hirschauer. „Wir haben speziell geschulte Kommunikationsbeamte im Einsatz – und mit dem Großteil der Leute kann man vor Ort gut reden.“ Trotz Alkohol, trotz Gedränge.

Dennoch hat sich das Bild in der Stadt verändert: Da die Discos geschlossen haben, wird draußen gefeiert. Um 19.30 Uhr geht es am Montagabend los: 100 Leute sind nach Feierabend am Gärtnerplatz. Mehr als tausend werden es oft an einem Freitag oder Samstag. Zehntausende weitere verteilen sich auf den Englischen Garten, die Isar oder den Wedekindplatz nahe der Münchner Freiheit.

Sommer in München: Das heißt mittlerweile auch Großeinsätze für die Polizei, denn mehrfach täglich rufen die Anwohner um Hilfe. „Es kann einfach nicht sein, dass die Anwohner darunter leiden, wenn bis drei Uhr nachts mit Bassboxen laut gefeiert wird und das Erste, was man morgens dann sieht, ein vermüllter Gärtnerplatz ist“, erklärt Lisa B. „Das Problem ist, dass die Polizei aber nicht immer kommt. Oft heißt es dann, sie könnten nichts machen, und wir sollen uns bei der Stadt beschweren.“

Platzverweise und Anzeigen sind das Mittel der Polizei – zu Festnahmen kommt es fast gar nicht, zeigt die Auswertung der Polizei aus den vergangenen drei Monaten. Die Situation ist gut – eine Eskalation wie in Frankfurt kürzlich „undenkbar“, sagt Sebastian D. „Ich habe schon in Düsseldorf, Köln und Berlin gelebt. Aber so viel Polizei wie in München habe ich noch nie gesehen“, sagt er.

Den Einsatz hält er zwar für „übertrieben“. Aber Fakt ist auch, dass es in der Innenstadt kaum zu Straftaten kommt. Vielerorts herrscht am Montagabend dagegen Idylle: Am Eisbach etwa, am Friedensengel oder Flaucher. Erst nach Einbruch der Dunkelheit meiden viele Münchner diese Orte – und treffen sich am Gärtnerplatz oder auf der Reichenbachbrücke, wo man Getränke zum Mitnehmen kaufen kann.

Um 1.30 Uhr leert sich der Platz am Montag. Ein Polizeieinsatz scheint nicht notwendig, es bleibt ruhig. Alkoholverbot oder Sperrstunde sind in der Stadt bislang kein Thema. Ein entsprechender CSU-Vorstoß fand keine Mehrheit. So wie der Vorschlag für Sebastian D., noch weiterzuziehen. „Geht nicht“, sagt er seinen Freunden. „Ich muss morgen wieder arbeiten.“

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