München – Der Influencer ist drin, Mikroplastik und das Gendersternchen. Ab morgen steht ein neuer Rechtschreibduden in den Buchläden. Er ist gelb und dick, so wie man ihn kennt. Doch auf den knapp 1300 Seiten hat sich einiges getan. 3000 neue Stichwörter sind hinzugekommen, rund 300 andere verschwunden, weil sie kaum noch jemand benutzt. Auch bairische Wörter gibt es im Duden: Radi, Schwammerl, Servus oder Busserl. Neu in den Duden geschafft hat es diesmal die Wiesn – und das, obwohl das Oktoberfest heuer wegen des Coronavirus gar nicht stattfinden kann.
Trotz der Einflüsse durch die Krise sei es kein „Corona-Duden“ geworden, sagt Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum (großes Foto). Aktuelle Themen wie Klima und Umwelt, Technik und Geschlechtergerechtigkeit hätten die Ausgabe beeinflusst. 148 000 Wörter sind in der 28. Auflage enthalten – so viele wie nie zuvor.
Zu den Neuaufnahmen zählen Wörter, die noch vor einem Jahr Rätsel aufgegeben hätten: Covid-19, Reproduktionszahl und Lockdown zum Beispiel. Auch Einträge zu Ansteckungskette, Intensivbett und Atemschutzmaske. „Coronavirus stand sowieso schon drin“, sagt Kunkel-Razum. Auch Corona sei schon im Duden enthalten gewesen – aber mit anderer Bedeutung. Schlägt man es nach, finden sich künftig zwei Erklärungen: Corona als weiblicher Vorname und „ugs. für Coronavirus[erkrankung]“.
Ein Auszug aus der Liste der Neuaufnahmen kommt einem Schnelldurchlauf durch Debatten und Trends der vergangenen Jahre gleich: Alltagsrassismus, bienenfreundlich, Chiasamen, Craftbeer, Dieselaffäre, Erklärvideo, Fridays for Future, Gendersternchen, Hatespeech, Influencer, Klimanotstand, Ladesäule, Masernimpfung, Netflixserie, oldschool, pestizidfrei, rechtsterroristisch, Shishabar, transgender, Uploadfilter, Videobeweis, Whatsapp-Gruppe oder Zwinkersmiley.
Zum ersten Mal finden Nutzer im Duden Hinweise zum gendergerechten Sprachgebrauch. Ein Thema, für das es bisher keine Norm gibt. Kunkel-Razum ist auf die Reaktionen zu den neuen drei Seiten gespannt, wohl wissend, dass sie für Diskussionen sorgen können. „Wir legen Wert darauf zu sagen, dass das keine Regel ist, die wir verordnen“, betont sie. Das dürfe und wolle die Redaktion nicht. Aber es gebe eben sehr viele Anfragen zu dem Thema.
Im Duden steht nun zum Beispiel über den umstrittenen „Genderstern“: Es sei zu beobachten, dass sich diese Variante in der Schreibpraxis „immer mehr durchsetzt“. Zu finden sei sie besonders in Kontexten, in denen Geschlecht nicht mehr nur als weiblich oder männlich verstanden werde und die Möglichkeit weiterer Kategorien angezeigt werden solle. Als Beispiel wird genannt: „Schüler*innen“.
Ein Kriterium für die Aufnahme eines neuen Wortes ist, wie häufig es im Alltag genutzt wird. Mithilfe von Computern werden große Mengen Texte auf Neuheiten durchforstet. Aus einer Liste von etwa 15 000 Wörtern erfolgt dann die Auswahl. Dabei sei viel „Schrott“, der aussortiert werde, sagt Kunkel-Razum. Namen von Fußballern etwa interessieren nicht. Geschafft haben es hingegen helikoptern für die übertriebene Fürsorge von Eltern – oder der Muttizettel, eine elterliche Erlaubnis, die Minderjährige zum Beispiel brauchen, wenn sie abends in die Disco wollen. Es sind Begriffe, die schon seit Jahren fest zur Alltagssprache gehören.
Wahrscheinlich werde nun wieder über den Zustand des Deutschen gesprochen, vermutet Kristian Berg, Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Bonn. Manche Menschen ärgern sich zum Beispiel über Begriffe aus dem Englischen. So steht das Verb preppen im neuen Duden – was so viel heißt wie: sich für einen Krisenfall rüsten. Oder Binge-Watching für stundenlanges Anschauen von Fernsehserien, coden für programmieren und spoilern für das Verraten von Details.
Berg betont: Wenn nun beklagt werden sollte, dass Influencer und hypen im Duden stehen, dann liege das daran, dass sie systematisch im Deutschen verwendet würden. „Dem Duden das anzulasten ist so, als würde man dem Wetterbericht das Wetter vorwerfen.“
„Der Anteil der Anglizismen steigt, das ist offenkundig“, räumt Kunkel-Razum ein. Viele technische und kulturelle Neuerungen stammten aus englischsprachigen Ländern und würden von uns übernommen. „Es hat aber auch damit zu tun, dass die Fremdsprachenkenntnisse hierzulande immer weiter wachsen, viele Menschen international arbeiten und sich dabei der englischen Sprache bedienen.“ Die Hemmschwelle bei Anglizismen werde niedriger. Immer mehr Menschen kämen aus dem Ausland nach Deutschland. Das Englische fungiere als Mittlersprache, bis der Zugezogene Deutsch könne.
Alexander Lasch, Vorsitzender der Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte, sieht Veränderungen der Sprache entspannt: „Sprachwandel ist ein Zeichen, dass die Sprache lebt.“ Den heutigen Duden hält er für den „besten Duden, den wir je hatten“. Die Redaktion dokumentiere den Sprachgebrauch mit Quellen, auf die er als Wissenschaftler nur neidisch sein könne, weise alternative Schreibweisen aus, sei offen für den Austausch mit Sprachnutzern und auch bereit, Entscheidungen wieder zu ändern, sagt der Linguistik-Professor der TU Dresden. Auch wenn der Duden seit der Rechtschreibreform nicht mehr verbindlich sei (maßgebende Instanz ist der Rat für deutsche Rechtschreibung), habe er noch den „Nimbus des amtlichen Regelwerks“ und damit normierende Funktion, sagt Lasch.
Kristian Berg von der UniBonn hat einen Kritikpunkt: In einem Rechtschreibwörterbuch sollten vor allem Wörter enthalten sein, die in irgendeiner Form schwer zu schreiben sind. Bei einigen Neuaufnahmen sei das sicher so, etwa bei Dystopie. Andere hingegen seien orthografisch einfach: „Wie sonst sollte man denn Intensivbett oder Geisterspiel anders schreiben?“ Der ursprüngliche Zweck des Rechtschreibdudens habe wohl dem Verkaufsargument (3000 neue Wörter) weichen müssen. Der Verlag sei in dem Dilemma, dass die allermeisten neuen Wörter „rechtschreiblich leider einfach“ seien, weil es sich um Verbindungen aus zwei oder mehr existierenden Wörtern handle.
Alexander Lasch von der TU Dresden findet das verständlich. Angesichts des schwierigen Markts für Nachschlagewerke im Online-Zeitalter sei es klar, dass der Duden auch mit Neuauflagen versuche, Aufmerksamkeit zu erzeugen.