„Ein Hundeführerschein wäre sinnvoller“

von Redaktion

INTERVIEW Hundetrainerin Isabel Boergen über die Novelle der Tierschutz-Hundeverordnung – und die Verantwortung der Halter

München – Isabel Boergen ist Hundetrainerin und Inhaberin der Hundeschule „Weltstadt mit Hund“ in München. Die 41-Jährige hat Tierverhaltensforschung und Tierschutz in Schottland studiert. Ein Gespräch über richtige und falsch verstandene Hundeliebe.

Ministerin Julia Klöckner will die Tierschutzhundeverordnung ändern. Künftig soll dort stehen, dass ein Hund mindestens zweimal täglich für insgesamt mindestens eine Stunde Auslauf haben soll.

So eine pauschale Regelung halte ich für unsinnig. Es wäre wichtiger, die Leute zu richtigen Entscheidungen zu befähigen: Was kann ich einem Hund bieten? Was braucht er in welcher Lebensphase? Da wäre ein Hundeführerschein zehnmal sinnvoller, als jetzt etwas zu verordnen, was nicht auf jeden Hund zutrifft – und sowieso keiner kontrollieren kann.

Warum trifft es nicht zu?

Wie viel Auslauf ein Hund braucht, kann man pauschal nicht sagen. Wenn ich mit einem Welpen zwei Stunden spazieren gehe, ist der völlig durch. Auch ein alter Hund, der nicht mehr gut laufen kann. Es gibt Rassen, die besonders viel Auslauf brauchen, und andere, die genügsamer sind. Es kommt auch darauf an: Was mache ich sonst mit dem Hund?

Aber dass Hunde zu wenig rauskommen, stimmt doch – vor allem in der Stadt.

Nicht unbedingt. Und es ist nicht nur ein Stadtproblem. Das erlebe ich auch häufig im ländlichen Raum, dass der Hund dort nur im Garten sitzt.

Garten reicht nicht aus?

Überhaupt nicht. Hunde müssen sich bewegen, verschiedene Schnüffelspuren haben, auch mal anderen Hunden begegnen. All das ist für einen Hund extrem befriedigend. Ein Garten ist letztlich wie ein großer Zwinger.

Unterschätzen viele Halter, wie viel Zeit man für einen Hund braucht?

Ein Problem ist, dass Hunde sich in unseren Alltag einpassen müssen. Sie sollen all das klaglos mitmachen, was wir machen. Sei es Auto fahren, ins Restaurant mitkommen oder zu Hause bleiben. Man soll sie am besten gar nicht wahrnehmen – das ist für Hunde wahnsinnig schwer.

Viele arbeiten ganztags – und der Hund bleibt in der Wohnung zurück.

Vier, fünf Stunden allein in der Wohnung ist okay. Alles, was über sechs Stunden geht, ist meiner Meinung nach nicht mehr in Ordnung. Da sollte man wenigstens jemanden organisieren, der zwischendurch mit dem Hund rausgeht.

Müssen Hunde das Alleinsein erst lernen?

Ja. Hunde sind soziale Tiere, die sich eng an den Menschen binden. Das Alleinsein ist genetisch nicht im Hund verankert. Da hilft es auch nichts, sich einen zweiten Hund zu holen.

Wovon hängt es ab, welcher Hund zu mir passt?

Man sollte seinen Alltag auf Hundetauglichkeit überprüfen: Wie viel Zeit habe ich? Verreise ich viel, muss der Hund da mit? Es gibt klassische Gesellschaftshunde wie den Malteser. Sie haben meist Probleme, von der Bezugsperson getrennt zu sein. Jede Rasse hat ihre charakteristischen Merkmale. Und ich sollte hinterfragen, wo ich den Hund herhole. Ist das ein seriöser Züchter? Sind die Hunde gesund? Ist es eine Qualzucht ohne Nase und Schwanz?

So wie der Mops …

Solche Rassen haben nicht nur gesundheitlich extreme Einschränkungen, sondern auch kaum Ausdrucksfähigkeit. Man kann ihren Gemütszustand schwer lesen, auch andere Hunde tun sich damit schwer. Die meisten kurznasigen Hunde haben Atemprobleme. Mit einem Mops zum Beispiel kann ich nicht stundenlang spazieren gehen, denn er bekommt schwer Luft. Für den ist das so, als müsste er sein ganzes Leben Maske tragen.

Wo kann man sich über all das informieren?

Bei seriösen Tierschutzorganisationen und Zuchtverbänden. Oder bei Hundeschulen. Wir zum Beispiel bieten eine Anschaffungsberatung an. Aber es ist auch viel Eigenarbeit. Jeder muss sich ehrlich hinterfragen: Passt ein Hund in mein Leben?

Die neue Verordnung sieht auch ein Ausstellungsverbot für Qualzuchten vor. Reicht das oder bräuchte es ein Zuchtverbot?

Ich bin skeptisch, ob ein Verbot so einfach geht. Für Züchter käme das einem Berufsverbot gleich. Und ein Mops stellt ja keine öffentliche Gefährdung dar, wie sie vom Gesetzgeber zum Beispiel von sogenannten Kampfhunden angenommen wird. Wer einen Mops will, wird Wege finden, einen zu kriegen. Ich sehe trotz Kupierverbot noch Dobermänner mit abgeschnittenen Ohren und Schwänzen. Wichtiger wäre Aufklärung. Man muss den Menschen klarmachen, dass das für den Hund eine Qual ist und kein schönes Leben.

Viele waren wegen Corona im Homeoffice – und haben sich einen „Corona-Welpen“ angeschafft.

Nicht nur Welpen, sondern auch Hunde aus dem Tierschutz. Viele haben gesagt: Ich wollte schon immer einen Hund, jetzt habe ich Zeit und hole mir einen.

Und dann endet das Homeoffice wieder …

Und dann kommen die Probleme, weil man vielleicht plötzlich doch überfordert ist. Ich hoffe nicht, dass auf die Tierheime eine Welle zukommt. Aber es könnte sein.

Interview: Wolfgang Hauskrecht

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