Sparta – Das Tor am Eingang steht sperrangelweit offen, das Tickethäuschen ist verwaist. In der Bullenhitze gönnt sich der Verkäufer offenbar lieber einen griechischen Mokka im nahen Sparta, als an seinem Arbeitsplatz Däumchen zu drehen. Den unverhofften Gratis-Eintritt in die archäologische Stätte nutzt aber niemand. Das weitläufige Areal im Süden der Peloponnes mit seinen Sehenswürdigkeiten, der Akropolis und dem ausgegrabenen Amphitheater des antiken Sparta ist menschenleer. Nur der Gesang der Zikaden ist zu hören.
Ob in Sparta, Kreta, Korfu, Kos oder Santorin: Griechenland erlebt einen Katastrophensommer. Zwar gibt es mancherorts Einschränkungen – zum Beispiel in der Reggion Attika auf Poros, oder auf Paros und Antiparos. Dort gilt eine Maskenpflicht auch im Freien auf öffentlichen Plätzen sowie ein Veranstaltungsverbot. Aber in den meisten Regionen Griechenlands könnte man einen fast normalen Urlaub verbringen. Denn eine Reisewarnung für Griechenland gibt es nicht.
Die Corona-Angst der Touristen scheint aber zu groß. Oder die Angst, in eine Reisewarnung mit all ihren Folgen zu laufen, wenn man gerade in Griechenland ist. So zeigt sich immer mehr, dass die Prognosen, der griechische Tourismus könnte nach der Wiederöffnung des Landes am 1. Juli doch noch irgendwie mit einem blauen Auge davonkommen. viel zu zuversichtlich waren.
Nur jedes zweite Hotel machte überhaupt auf
Grigoris Tasios schenkte dem Optimismus von Anfang an keinen Glauben. Schon früh war er davon überzeugt, dass die Reisebranche den Sommer 2020 in Hellas faktisch abschreiben kann. Tasios, 47, sportlicher Typ, stechender Blick, ist Präsident der Griechischen Vereinigung der Hotelbesitzer.
Tasios betreibt selbst ein Vier-Sterne-Hotel auf der Halbinsel Chalkidiki im Norden Griechenlands, gute acht Stunden Autofahrt von Sparta entfernt. Normalerweise ist der August der umsatzstärkste Monat für die hellenische Tourismusbranche. Nun ist der August vorüber und Tasios sagt: „Machen wir uns nichts vor. Die Saison in Griechenland ist gelaufen. Das zeigen die Daten für die Monate Juli und August sowie der Ausblick auf September.“
Nur etwa 5500 der landesweit 10 121 Hotels mit ihren 798 650 Betten hatten in dieser verkorksten Urlaubssaison in Griechenland überhaupt geöffnet. Aber selbst die füllten sich nicht. Der Juli verlief schwach, nicht zuletzt wegen verwirrender und sich ständig ändernder Bestimmungen bei der Einreise nach Griechenland. Anfang August schreckten in die Höhe schnellende Corona-Fallzahlen und damit einhergehende Verschärfungen in Sachen Corona-Regeln viele Gäste aus dem Ausland ab.
Auch für September und Oktober zeigt die griechische Reisebranche nicht die ersehnte Dynamik. Viele Hotels dürften wegen mangelnder Buchungen bereits Mitte September wieder ihre Pforten schließen, sagen Marktbeobachter. Der Grund ist simpel: Die Hotels können einfach nicht rentabel betrieben werden.
Der wichtigste Indikator ist die Zahl der Fluggäste. Nach offiziellen Angaben der Griechischen Zivilluftfahrtbehörde ist die Zahl der Fluggäste auf allen gut 30 griechischen Flughäfen in den ersten sieben Monaten dieses Jahres eingebrochen. Von rund 34,7 Millionen auf nur noch 8,9 Millionen – ein Minus von 74,3 Prozent. Die vom deutschen Flughafenbetreiber Fraport betriebenen 14 griechischen Airports, darunter die beliebten Ziele Mykonos, Santorin, Chania, Korfu, Kos und Rhodos, zählten bis Juli nur 3,1 Millionen Fluggäste – 81 Prozent weniger als 2019.
Die Lage im griechischen Tourismus ist dramatisch. Nach Angaben der Athener Notenbank TTE hat der griechische Tourismus in den ersten sechs Monaten dieses Jahres erst 678 Millionen Euro eingespielt – gegenüber 5,41 Milliarden Euro im Vorjahreshalbjahr. Dabei hatte es im Januar und Februar noch verheißungsvoll begonnen. 527 Millionen Euro entfallen auf diese beiden Monate. Dann kam Corona und nichts ging mehr. Tasios rechnet für 2020 mit nicht einmal drei Milliarden Euro Direkterlös für den griechischen Tourismus. Der griechische Touristikverband spricht von höchstens 3,5 Milliarden Euro. So oder so ist es viel zu wenig. 2019 hatte der Tourismus noch 18,18 Milliarden Euro in die Kassen gespült.
Dabei hatte Athen ursprünglich mit einem Rekordjahr gerechnet. Darauf deuteten die Vorbuchungen und die ersten beiden Monate hin. Die Direkterlöse sollten heuer auf 20 Milliarden Euro steigen. Das wäre ein Allzeithoch gewesen für die griechische Reisebranche, die seit 2012 stetig wächst. 34 Millionen Touristen aus dem Ausland verbrachten 2019 die Urlaubstage an der Peloponnes – und gaben dabei im Schnitt 564 Euro pro Kopf aus.
Am Ende könnten 45 Milliarden Euro fehlen
Aus dem verpassten Allzeithoch wird nun zunehmend ein Desaster. Das Athener Tourismusministerium hatte noch im Juni mit Direkterlösen von immerhin acht Milliarden Euro gerechnet. Nun ist klar: Das war eine grobe Fehleinschätzung. Es kommt noch viel schlimmer. Schmerzlich für die Griechen ist nicht nur, dass ihnen etwa 17 Milliarden Euro an Direkterlösen entgehen. Für jeden direkt erlösten Euro im griechischen Tourismus werden weitere 1,2 bis 1,65 Euro in der Gesamtwirtschaft generiert. Das belegen Studien. Folglich werden den Griechen weitere 20,4 bis 28 Milliarden Euro an indirekten Erlösen entgehen. Die gesamtwirtschaftlichen Verluste summieren sich so auf bis zu 45 Milliarden Euro.
Ein ökonomischer Nackenschlag für Hellas. Denn kein Land in Europa hängt wirtschaftlich so stark vom Tourismus ab wie Griechenland. Die griechische Wirtschaftsleistung belief sich 2019 auf 187,45 Milliarden Euro. Der Athener Regierung zufolge werde das griechische Bruttoinlandsprodukt 2020 um knapp zehn Prozent fallen. Viele Experten halten diese Prognose immer noch für zu optimistisch. Wie stark der Einbruch letztlich sein werde, hänge maßgeblich vom Werdegang des griechischen Tourismus ab. Und da läuft es schlechter als befürchtet.
Den horrenden Einbruch im Tourismus kann die griechische Wirtschaft auch nicht mit besseren Leistungen in anderen Bereichen wettmachen. Covid-19 trifft die seit 2010 chronisch krisengebeutelten Griechen mit voller Wucht. Die Exporte brachen allein im Mai im Vergleich zum April um 32,7 Prozent ein. Auch die Griechen selbst geben seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie weniger aus: Im ersten Halbjahr fielen die Umsätze im griechischen Einzelhandel um 23 Prozent. Verheerend, denn der private Konsum macht in Griechenland rund 70 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung aus.
Hotelier-Präsident befürchtet Pleitewelle
Grigoris Tasios ist von Natur aus eigentlich ein unverbesserlicher Optimist, wie er selbst betont. Aber im Moment sieht der Präsident der Vereinigung der Hotelbesitzer auch für das nächste Jahr 2021 schwarz. Tasios befürchtet eine Pleitewelle: „Die Saison Covid-21, wie ich sie nenne, bereitet uns ebenfalls sehr, sehr große Sorgen. Viele Hotels, aber auch die sonstigen Unternehmen in der Tourismusbranche, werden nur schwer überleben. Wir befinden uns in einem Krieg mit einer unsichtbaren Gefahr.“