Was Lebensmittel wirklich kosten (müssten)

von Redaktion

VON ERICH REIMANN UND WOLFGANG HAUSKRECHT

Köln – Woche für Woche locken Supermärkte und Discounter mit Sonderangeboten. Dabei müssten Fleisch, Milch und Käse nach einer aktuellen Studie der Universität Augsburg eigentlich viel mehr kosten – Hackfleisch fast dreimal so viel, Milch und Gouda fast doppelt so viel, wie der Wirtschaftsinformatiker Tobias Gaugler und sein Team errechnet haben.

„Umweltschäden finden aktuell keinen Eingang in den Lebensmittelpreis. Stattdessen fallen sie der Allgemeinheit und künftigen Generationen zur Last“, sagt Gaugler. Im Auftrag des zur Rewe-Gruppe gehörenden Discounters Penny haben die Wissenschaftler die „wahren Kosten“ für 16 Eigenmarken-Produkte der Handelskette berechnet und dabei neben den „normalen“ Herstellungskosten unter anderem auch die Auswirkungen der bei der Produktion entstehenden Treibhausgase, die Folgen der Überdüngung sowie den Energiebedarf berücksichtigt.

Vor allem Fleisch würde teurer werden

Die Auswirkungen sind gravierend – vor allem bei Fleisch und Tierprodukten. So müsste der Preis für Fleisch aus konventioneller Aufzucht bei Berücksichtigung der versteckten Kosten um satte 173 Prozent steigen. Konkret: 500 Gramm gemischtes Hackfleisch aus konventioneller Herstellung würden nicht 2,79 Euro, sondern 7,62 Euro kosten. Normale Milch würde um 122 Prozent teurer, Gouda-Käse um 88 Prozent, Mozzarella um 52 Prozent. Deutlich geringer wären die Aufschläge bei Obst und Gemüse. Bananen würden um 19 Prozent teurer, Kartoffeln und Tomaten um 12 Prozent, Äpfel um 8 Prozent.

Bei Bioprodukten fielen die Preisaufschläge durchweg geringer aus als bei konventionell hergestellter Ware. Doch auch der Preis für Biofleisch würde bei Berücksichtigung der „wahren Kosten“ um 126 Prozent steigen.

Supermarktketten vor schwierigem Spagat

Die Rewe-Gruppe will das Problem der versteckten Kosten bei der Eröffnung eines neuen Nachhaltigkeitsmarktes seiner Discountkette Penny in Berlin am Mittwoch thematisieren. Für je acht konventionell und ökologisch erzeugte Eigenmarken-Produkte will der Händler dort neben dem Verkaufspreis auch den „wahren Preis“ ausweisen. So stehen auf dem Preisschild für H-Milch neben dem Verkaufspreis von 79 Cent auch die „wahren Kosten“ von 1,75 Euro, beim Bio-Hackfleisch in der 250-Gramm-Packung neben dem Verkaufspreis von 2,25 Euro auch die „wahren Kosten“ von 5,09 Euro.

Rewe-Topmanager Stefan Magel sieht in der Initiative einen wichtigen ersten Schritt zu mehr Nachhaltigkeit. „Wir müssen dazu kommen, die Folgekosten unseres Konsums sichtbar zu machen“, sagt er. Nur so könne der Kunde eine bewusste Kaufentscheidung treffen.

Für Ketten wie Rewe geht es um viel. Das Thema Nachhaltigkeit boomt und der Kunde verlangt zunehmend regionale, saisonale und biologisch angebaute Produkte. Zugleich sind viele Preise das Ergebnis eines harten Preiskampfes, der die gesamte Produktionskette negativ beeinflusst. Magel räumt ein: „Wir sind als Unternehmen in einem wettbewerbsintensiven Markt ohne Zweifel Teil des Problems.“ Er hoffe aber, mit dem aktuellen Schritt Teil der Lösung werden zu können. Wenn die Kunden positiv auf die doppelte Preisauszeichnung reagierten, dann könne er sich vorstellen, die Anzahl der gekennzeichneten Produkte weiter zu erhöhen und den Test auf weitere Märkte auszuweiten.

„Wenn wir etwas verändern wollen, ist Transparenz der erste Schritt“, betont auch ein Sprecher der Rewe-Group auf Anfrage unserer Zeitung. „Wir müssen nachdenken über die Wertschätzung für Lebensmittel.“ Ein Imagewandel steht an, der einem gewaltigen Spagat gleichkommt. Denn einerseits fordern immer mehr Kunden mehr Nachhaltigkeit, andererseits gibt es viele, die den Cent mehrfach umdrehen müssen. „Wenn der Kunde uns nicht unterstützt, können wir nichts verändern“, sagt auch der Rewe-Sprecher.

Die Augsburger Wissenschaftler hoffen, dass die doppelte Preisauszeichnung das Einkaufsverhalten der Kunden verändert. Es könne ein Beitrag zu mehr Ehrlichkeit bei den Lebensmittelpreisen sein. Lieber wäre es ihnen aber noch, wenn die hohen Umweltfolgekosten schrittweise auf die Preise aufgeschlagen würden – etwa durch Besteuerung der CO2-Emissionen in der Landwirtschaft und von mineralischem Stickstoffdünger. „Die Preisanpassungen der Lebensmittelmärkte würden wahrscheinlich zu deutlichen Verschiebungen hin zu mehr pflanzlichen und mehr Bio-Produkten führen und gleichzeitig die Umweltschäden deutlich reduzieren“, sagt Amelie Michalke, Mitverfasserin der Augsburger Studie.

Noch nicht alle Kosten lassen sich berechnen

Der Bio-Landwirt und Chef des Babynahrungs-Herstellers Hipp, Stefan Hipp, betonte kürzlich: „In unser aller Interesse sollten wir darauf drängen, dass sich die wahren Produktkosten bald auf den Preisschildern finden.“ Derzeit trage die Gesellschaft die Kosten für Schäden. Und auch Thomas Antkowiak, Vorstand beim Hilfswerk Misereor, mahnte: „Wenn wir ehrlich bilanzieren, müssen wir einräumen, dass wir auf Kosten von Mensch und Natur wirtschaften.“

Dabei sind in den Berechnungen der Uni Augsburg längst nicht alle versteckten Kosten enthalten. So lassen sich laut Gaugler die Folgekosten von Antibiotika-Einsatz in der Tierzucht, der zu multi-resistenten Keimen führt, oder der Nutzung von Pestiziden noch nicht sicher genug beziffern. „Wir haben bisher nur einen Teil der versteckten Kosten berücksichtigt, aber allein das zeigt schon, dass die Preise lügen – manche mehr und manche weniger.“

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