Miesbach – Leere Flure, saubere Zimmer, geputzte Tafeln. Noch ist es ruhig am Gymnasium Miesbach. Damit ist es morgen aber vorbei. In Bayern enden die Sommerferien, die Schulen starten wieder in den Regelbetrieb. Volle Klassenzimmer, volle Stundenpläne – das erste Mal seit Mitte März. Damals wurden die Schulen im Freistaat wegen der Coronakrise geschlossen. So richtig aufgemacht haben sie seitdem nicht mehr. Alles lief im Notbetrieb. Jetzt geht es also wieder los, auch im oberbayerischen Miesbach.
Nur auf den ersten Blick sieht es an der Schule aus wie immer. In der Aula mahnen Desinfektionsmittelspender zur Hygiene, im Sekretariat sorgen Plexiglasscheiben für Schutz. Im ersten Stock hat Oberstudiendirektor Rainer Dlugosch sein Büro. Der 62-Jährige ist der Schulleiter. Die vergangenen Monate beschreibt er als kräftezehrend. Ununterbrochen seien Mails und Anrufe eingegangen, Anweisungen vom Kultusministerium, Zahlen vom Gesundheitsamt. Und nebenbei musste der Unterricht aufrechterhalten werden. Tagsüber wurde die Verwaltung organisiert, abends wurden die Hausaufgaben korrigiert.
Mit jedem Tag wuchs die Vorfreude
Rainer Dlugosch musste all das nicht alleine bewältigen. Sein Stellvertreter Markus Gamperling und die Lehrer Wolfgang Thoma und Peter Kolb komplettieren die Führungsriege und unterstützen ihn dabei, die Schule organisatorisch durch die Krise zu steuern. „Echte Hochkaräter“, sagt Dlugosch über seine Kollegen. Das Quartett schuftete pausenlos. Irgendwann habe es ihm gereicht, erzählt Dlugosch. Er verordnete sich und seinen Kollegen drei Wochen Urlaub – durchschnaufen und Kräfte tanken.
In der vergangenen Woche ging es wieder hoch her. Es gab viel zu tun. Mit jedem Tag wuchs aber auch die Vorfreude. „Endlich wieder Schule!“ Als Rainer Dlugosch das sagt, strahlt er wie ein Lausbub übers ganze Gesicht.
Zum Schutz der Schüler und Lehrer vor dem Coronavirus hat das Kultusministerium ein Hygienekonzept erarbeitet. Die Räume müssen regelmäßig gelüftet werden, auf dem Schulgelände gilt Maskenpflicht – von der Aula über die Gänge bis in den Pausenhof. Die ersten beiden Wochen gilt an weiterführenden Schulen auch Maskenpflicht im Unterricht – wegen der Urlaubsrückkehrer. Nach zwei Wochen, so ist zumindest der Plan, darf die Maske am Platz abgenommen werden.
Rainer Dlugosch weiß, dass das anstrengend wird. Für die Schüler, für die Lehrer. Der 62-Jährige ist topfit, mit Maske muss er nach dem Treppensteigen aber schon ein bisschen schnaufen. „Die Maske ist aber das kleinere Übel“, sagt Dlugosch mit Blick auf das Virus. Um die Schüler machen sich Dlugosch und seine Kollegen keine Sorgen. „Die machen das!“, ist sich Englischlehrer Wolfgang Thoma sicher. Schon im Schichtbetrieb seien die Schüler diszipliniert und vorsichtig gewesen.
Nicht immer klappt die Kommunikation
In zwei Wochen wird man sehen, wie es weitergeht. Alles hängt von den Infektionszahlen ab. Steigen sie im Landkreis, werden die Maßnahmen wieder verschärft. So sieht es das Hygienekonzept vor (Artikel unten). Die Entscheidung darüber liegt nicht bei den Schulen, sondern bei den örtlichen Gesundheitsämtern. Die entscheiden auch, was passiert, wenn sich ein Lehrer oder ein Schüler mit Corona infiziert.
„Die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt funktioniert nicht immer reibungslos. Es dauert manchmal, bis wir die für uns wichtigen Informationen erhalten“, sagt Dlugosch. Man wisse um die dünne Personaldecke im Gesundheitsamt, dort versuche man das Bestmögliche. „Das Problem ist nur: Die Konsequenzen tragen wir als Schule.“ Biolehrer Peter Kolb ergänzt: „In Notfällen ist eine schnelle Kommunikation für die Schule sehr wichtig.“
Der „Rahmen-Hygieneplan“ des bayerischen Kultusministeriums hat 31 Seiten – 31 Seiten über Mund-Nasen-Bedeckungen, respiratorische Symptome, Inzidenz-Zahlen, Pausenverkauf oder Dokumentationspflichten – ziemlich schwere Kost, die am Ende alle verinnerlichen sollen: Lehrer, Schüler, Eltern. Die entscheidenden Informationen immer wieder zu filtern, ist für die Schulleitung ein großer Arbeitsaufwand. Rund 100 solcher Schreiben habe es in den vergangenen Monaten gegeben. „Die muss irgendjemand lesen und umsetzen“, sagt Vize-Schulleiter Markus Gamperling.
Ein Problem dabei: Änderungen im Vergleich zum letzten Konzept kennzeichnet das Kultusministerium nicht. Ein Ärgernis, finden die Miesbacher Pädagogen. Sie wünschen sich, dass das Ministerium Änderungen markiert und Regeln zusätzlich kurz und verständlich formuliert. So könnten die Informationen direkt an Kinder, Eltern und Lehrer weitergegeben werden. Das Hygienekonzept begrüßen sie aber ausdrücklich. Klare Rahmenbedingungen hätten vor den Sommerferien gefehlt.
Es gibt viel Lernstoff nachzuholen
Der Start ins Schuljahr wird auch aus einem anderen Grund herausfordernd: In manchen Fächern hat sich einiges an Lernstoff angehäuft, die Rückstände sollen möglichst zügig aufgeholt werden. „Nachführunterricht“ nennt das Ministerium das. Noch so ein neuer Begriff.
Insbesondere die Jüngeren hätten während des Lockdowns Probleme mit dem Lernen gehabt, sagt Dlugosch. „Und auch die soziale Schieflage hat sich deutlich in der Schulsituation widergespiegelt. Besserverdienende haben die Situation wesentlich leichter überbrücken können als die sozial schwächeren Schichten.“ Das habe sich bei der Ausstattung, Betreuung und Unterstützung der Kinder gezeigt.
„Schule ist nicht digital, Schule ist analog!“
Noch ein Problem benennt der Schulleiter: Die Ausbildung der Lehrer, die sich im digitalen Dschungel nicht immer zurechtfänden. Das Lehramtsstudium müsse dringend reformiert werden, sagt Dlugosch, während er durch die Klassenzimmer führt. Dank des Digitalpakets ist die Schule gut ausgestattet: Das Internet ist schnell, in den Chemiesälen hängen Tablet-Computer groß wie Schiefertafeln, in anderen Zimmern stehen Aktiv-Boards und Dokumente-Kameras. „Die Digitalisierung der Schulen ist notwendig“, sagt Dlugosch. Aber er sagt auch. „Sie kann den Präsenzunterricht ergänzen, ihn fördern – aber nie ersetzen.“ Das betont auch Englischlehrer Wolfgang Thoma. „Wir brauchen Schule vor Ort. Schule ist nicht digital, Schule ist analog!“
Gerade ist eine letzte Ladung mit Desinfektionsmittelspendern angekommen. In braunen Kartons liegen sie im Erdgeschoss. Der Hausmeister eilt umher und bringt die Spender im Schulhaus an. Das Gymnasium Miesbach ist bereit. „Man muss es nehmen, wie es kommt“, sagt Dlugosch, „was anderes bleibt uns nicht übrig.“ Als er Kollegen auf dem Gang begegnet, fällt der Rektor jubelnd auf die Knie – nicht nur die Schüler hat er vermisst.