München – Christoph Klein ist Ärztlicher Direktor der Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU.
Herr Klein, warum geraten deutschlandweit immer wieder Kinderkliniken in Probleme?
Wir haben insgesamt nach wie vor eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Das haben wir auch während der Corona-Krise wieder gemerkt. Gleichzeitig müssen wir allerdings auch feststellen, dass nicht alle Patienten davon profitieren. Es gab in den vergangenen 20 Jahren eine Entwicklung, die für viele kranke Kinder nicht vorteilhaft verlaufen ist – insbesondere, wenn sie an schweren und komplexen Erkrankungen leiden.
Was ist passiert?
Das Vergütungssystem für die Leistungen der Krankenhäuser hat sich verändert. Mit den sogenannten Fallpauschalen wurden standardisierbare Prozesse belohnt, deren Effizienz gemessen werden kann. Das trifft insbesondere für personalarme und technikbasierte Verfahren zu. Die Kindermedizin dagegen braucht sehr viel mehr Personal für hoch spezialisierte und dennoch kindgerechte und ganzheitlich denkende Medizin.
Warum kann man Kinder nicht so effizient behandeln wie Erwachsene?
Wir brauchen viel mehr Zeit für Kinder – es dauert viel länger, bis Kinder Vertrauen gewinnen. Glauben Sie, dass sich ein vierjähriges Kind einfach so in eine Röhre zur MRT-Diagnostik legt und still hält? Viele Untersuchungen dauern viel länger, als es im Vergütungssystem vorgesehen ist. Und das kostet auch Personalressourcen, zum Beispiel für eine kindgerechte Begleitung, die wir nur noch über Spenden finanzieren können. Ein weiterer Aspekt sind die Lohntarife, insbesondere für das Pflegepersonal und die technischen Hilfsberufe. Für eine Krankenschwester ist es schwierig, in München eine Familie zu ernähren und eine Wohnung zu bezahlen.
Und deshalb müssen Sie Kinder abweisen?
Eines ist mir wichtig: Ein Kind, das lebensbedrohlich erkrankt ist, wird von uns selbstverständlich immer behandelt. Dennoch können wir nicht alle Kinder, die zwar nicht in Lebensgefahr sind, aber trotzdem unsere Hilfe brauchen, leichtfertig aufnehmen, wenn zu wenige Pflegekräfte auf den Stationen sind. Denn auch das wäre unethisch – und zwar auch gegenüber unserem Personal, das für kranke Kinder alles gibt.
Was schlagen Sie vor, um die Lage zu verbessern?
Ich glaube, dass wir in unserer Gesellschaft insgesamt viel zu wenig Aufmerksamkeit für die besonderen Bedürfnisse von Kindern aufbringen. Das zeigt sich auch darin, dass wir Berufen, die mit Kindern arbeiten, von der Kindergärtnerin bis zum Kinderkrankenpfleger, nicht den Respekt entgegenbringen, der auf anderer Ebene selbstverständlich wäre. Da brauchen wir gesamtgesellschaftlich eine neue Herangehensweise.
Und konkret?
Ich denke, gerade die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass man manche Dinge einfach bezahlen muss, auch wenn sie nicht direkt profitabel sind. Es ist nicht gut, die Logik von industriellen Produktionsprozessen auf das Gesundheitswesen zu übertragen. Der finanzielle Druck ist enorm. Wir kämpfen mit allen Kräften dafür, dass die sehr gute Versorgung in unserem Haus nicht gefährdet wird und einzelne Unterbereiche nicht abgewickelt werden müssen. Wir brauchen deshalb dringend eine Reform der Vergütung von Kinderkliniken.
Wie sollte diese Reform genau aussehen?
Da bin ich wenig dogmatisch. Ich könnte mir ein kinderspezifisches Fallpauschalensystem vorstellen, besser aber wäre es, wenn wir als Gesellschaft die gesundheitliche Grundversorgung unserer kranken Kinder einfach sicherstellen und den anfallenden Bedarf sowie die Vorhaltekosten finanzieren würden. Nicht die Ökonomie, sondern das kranke Kind muss im Zentrum stehen.
Interview: Sebastian Horsch