Wie ein Foto die Welt der Supermodels erschuf

von Redaktion

VON ZORAN GOJIC

München – Pünktlich zu Beginn der 90er-Jahre läutet das Magazin „Vogue“ das Zeitalter der Supermodels ein. Ein Zufall im Grunde. Der deutsche Starfotograf Peter Lindbergh hatte schon 1988 für die „Vogue“ auf Schwarz-Weiß-Fotos junge Damen in legerer Kleidung mit dezentem Make-up abgebildet, die nicht posieren, sondern ganz natürlich in die Kamera blicken. In den knallbunten 80er-Jahren der Schulterpolster und skurrilen Föhn-Tollen ein Affront – die Bilder verschwinden erst mal unveröffentlicht in der Schublade.

Im Januar 1990 landet ein ähnliches Motiv Lindberghs mit Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford auf dem Umschlag der britischen „Vogue“ – und schlägt ein wie eine Bombe. George Michael bucht die fünf Frauen sofort für den Videoclip zu seinem Hit „Freedom ’90“ und Regisseur David Fincher greift die Idee des Lindbergh-Fotos auf. Naomi und Gefolge bewegen sich ganz natürlich in alltäglichen Situationen und singen „Freedom“. Sie stellen keine Models dar, sondern präsentieren sich einfach als selbstbewusste junge Frauen.

Das reicht, um sie über Nacht zu einem soziokulturellen Phänomen zu machen. Die fünf Models sind da natürlich schon wer in der Branche, aber dem sprichwörtlichen Mann auf der Straße sagen die Namen damals nichts. Das ist nun mit einem Schlag anders, sie sind plötzlich Stars, die auch außerhalb des Fashion-Geschäfts erkannt werden. Und die Grenzen überschreiten, wie sich Naomi Campbell erinnert. „Früher gab es Models für die Magazine und Models für den Laufsteg, das haben wir geändert.“

Das stimmt, und: Mit einem Mal hatten die jungen Frauen Namen und waren nicht nur austauschbare Gesichter. Entschieden zuvor die Modehäuser, wer für sie auftritt, beginnt nun ein Buhlen um die „Supermodels“, es ist plötzlich wie im Profifußball. Die Stars heben den Marktwert des Vereins und nicht mehr umgekehrt.

Schnell gesellen sich in der Wahrnehmung zur ursprünglichen Fünfer-Bande des Lindbergh-Fotos noch Elle Macpherson, Eva Herzigová, Claudia Schiffer und Kate Moss dazu. Sie stehen alleine schon mit ihren unterschiedlichsten Herkunftsländern für eine neue, vielfältige Zeit, und das spiegelt natürlich den mitunter naiven Optimismus nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und einer verheißungsvollen leuchtenden demokratischen (und kapitalistischen) Zukunft.

Tatsächlich sind die jungen Frauen, zunächst ohne große Absicht, ein ziemliches Politikum – wegen Naomi Campbell. Dunkelhäutige Topmodels sind seinerzeit eine exotische Ausnahme, aber Campbells Kolleginnen drücken durch, dass Campbell auch immer gebucht wird, wenn sie zusagen sollen. Campbell ist es auch, die den Ton setzt für die neue Model-Elite. Als sie 1993 auf dem Laufsteg stolpert und hinfällt, da lacht sie einfach, steht auf und geht weiter. Früher wäre so etwas für ein Model mindestens das Ende der Welt gewesen, nun finden es alle wunderbar. Andere Mode-Shows bieten ihr danach sogar Geld, damit sie den Stunt wiederholt, erinnert sich Campbell später. Die erfolgreichen Solo-Unternehmerinnen widersetzen sich auch sonst gängigen Klischees. Es gibt keine Zickenkriege, keine Lästereien, tatsächlich unterstützt man sich, weil alle instinktiv verstehen, dass sie als Kollektiv eine Marke sind und über Macht verfügen.

Zu sagen haben sie eigentlich nicht viel, aber das interessiert im Jahrzehnt der totalen Inhaltslosigkeit niemanden. Es sind die Jahre, in denen Hunderttausende bei der Berliner Love-Parade so tun, als wäre ihr Sommerkarneval eine politische Willensbekundung. Außerdem will auch keiner wirklich etwas über die Frauen wissen, die allgegenwärtig durch Zeitschriften. Klatschspalten, Werbung, Videoclips und Filme geistern. Die Projektionsfläche reicht dem Publikum, die Zwangsvorstellung, dass diese Art des Lebens eine Art Dauerglück ist, sickert in das Bewusstsein einer ganzen Generation von Mädchen. Letztlich beutet eine Sendung wie „Germany’s next Topmodel“ mit Heidi Klum (die nie ein Supermodel war) diese Illusion heute noch aus.

Den Zeitpunkt, an dem die Aufregung um die Supermodels ihren Höhepunkt überschritten hatte, kann man recht gut eingrenzen: Begonnen hat es wohl am 25. März 1996. An diesem Tag findet die Oscarverleihung statt und ein Showelement im ohnehin berüchtigt sinnfreien Rahmenprogramm war eine „Fashion Show“, in der Models anlasslos herumstolzieren.

Moderatorin Whoopi Goldberg quittiert diesen Auftritt mit dem sarkastischen Satz: „Supermodels! 10 000 Dollar die Stunde und trotzdem ziehen sie eine Fresse“. Viel Applaus, schallendes Gelächter, man hatte das Bohei um die Models ein bisschen satt. Goldbergs Witz zielte auf Linda Evangelistas launige Aussage, für weniger als 10 000 Dollar stehe sie gar nicht erst auf.

Mit dem Platzen der Börsenblase nach der Jahrtausendwende, dem Terroranschlag auf das World Trade Center und einer Reihe internationaler militärischer Konflikte ist die heile Fashionkulisse mit ihrer völligen Abwesenheit von Relevanz für die echte Welt nicht mehr ganz so faszinierend, und die Supermodels – die verabschieden sich ohnehin eine nach der anderen vom Laufsteg. „Irgendwann ist man für den Job eben zu alt“, sagt Claudia Schiffer noch zu aktiven Zeiten. Und Cindy Crawford verrät schon 1993: „Wenn ich morgens aufstehe, sehe ich auch nicht aus wie Cindy Crawford.“

Echte Nachfolgerinnen für die legendäre Supermodel-Gang gibt es nicht, auch wenn immer mal wieder versucht wird, dieses Geschäftsmodell neu zu beleben. Aber es gibt keine Supermodels mehr, weil es die Zeit der Supermodels nicht mehr gibt.

Die echten Supermodels haben allesamt klug vorausgedacht und sich mit unterschiedlichsten Werbeverträgen den frühen Ruhestand versüßt. Außer der ewigen Naomi Campbell, diesem Wunderwerk der Natur – die läuft tatsächlich auch mit 50 noch ab und an für befreundete Designer. Erst wenn die Frau aufhört, ist die Ära der Supermodels endgültig vorüber. Sofern das noch jemanden ernsthaft interessiert.

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