Attaching – Barbara Ziegl-trum, 51, ist so was wie das inoffizielle Dorfzentrum von Attaching. Und sie will vorbereitet sein auf diesen denkwürdigen Tag. „Ich muss den Sekt kaltstellen“, sagt sie am Mittwochmittag am Telefon. Sie betreibt mit ihrem Mann den Kramerladen des 1087-Seelen-Dorfs bei Freising. Und sie geht schwer davon aus, dass viele Einheimische nach Feierabend zu ihr kommen werden. Denn in Attaching trifft man sich beim Kramer, den es seit 135 Jahren gibt. In guten wie in schlechten Zeiten. Gerade sind sehr gute Zeiten.
„Wir haben immer darauf gewartet, dass jemand kommt und sagt: Die dritte Startbahn kimmt nimma“, sagt Ziegltrum. „Aber dass das ausgerechnet der Markus, also der Herr Söder, ist, damit war nicht zu rechnen.“ Sie kann ihr Glück noch gar nicht so recht fasst. „Die letzten Jahre waren anstrengend“, sagt sie. Sie hat demonstriert und sie hat sich viele Sorgen gemacht. „Die dritte Startbahn wäre der Todesstoß für uns gewesen“, sagt sie. „Für uns als Kramer und für das ganze Dorf.“
In 75 Metern Höhe wären die Jets über die Gemeinde gedonnert, wenn die Startbahn gebaut worden wäre. Lärm, gefährliche Luftwirbel, Feinstaub, Absturzrisiko – die Einheimischen haben viele Sorgen umgetrieben. Ganze Ortsteile hätten abgesiedelt werden müssen. Den Sportplatz nennen sie spöttisch „Todeszone“, weil die neue Piste nur wenige hundert Meter entfernt geendet hätte. Die Kramerin war immer wieder bei Demos dabei. Nicht alle haben den Kampfgeist der Attachinger verstanden. „Dann muss man halt wegziehen.“ Das hat Ziegltrum immer wieder gehört – und geantwortet: „Mogst du vielleicht mei Hüttn kaufen?“ Die Aussicht auf eine Startbahn in der Nähe hat den Immobilienmarkt durcheinandergewirbelt – nicht zum Guten. „Wir werden die neue Entwicklung, wie es uns eigen ist, mit Vorsicht genießen“, sagt Ziegltrum. „Wir freuen uns, aber wir lassen uns nicht einlullen. Wir dürfen die Startbahn nicht aus dem Auge verlieren, bis gesagt wird, dass sie auf keinen Fall gebaut wird.“
Auch Michael Buchberger, 46, kämpft seit Jahren. In der fünften Generation lebt seine Familie in dem Dorf. Der IT-Produktmanager macht bei der Bürgerinitiative gegen die Startbahn mit. Er hat Infoveranstaltungen und Demos organisiert. Zusammen haben die Einheimischen den Maibaum schwarz verhüllt – als Zeichen des Protests. Die Startbahn-Gegner haben einen Grabstein am Flughafen niedergelegt – und in ihrem Heimatort eine Kapelle errichtet, in der sie Gott anflehen, ihr Dorf von noch mehr Fluglärm zu verschonen. Anscheinend hat das Beten geholfen. „Es ist ein richtig gutes Signal“, sagt Buchberger. „Aber ein Restrisiko besteht. Wenn man sich jetzt überlegt, ein Haus zu bauen, dann braucht man Sicherheit. Die Sicherheit für acht Jahre ist nicht schlecht, aber für eine Lebensentscheidung wahrscheinlich nicht ausreichend.“
Der Familienvater ist trotzdem schon 2018 ins Risiko gegangen – er hat an sein Haus angebaut. Quasi als Protest gegen die Startbahn. Und weil er mehr Platz für Kinder- und Arbeitszimmer brauchte. Die Wut auf den Flughafen-Betreiber ist trotz der positiven Nachrichten ungebrochen. „Für die sind Passagiere Menschen, aber nicht die Anwohner.“ Der Kampf ist noch nicht vorbei, keine Frage. Aber gleich, nach Feierabend, will er erst mal ein bisschen entspannen. Und feiern. Er ist verabredet. „Ich geh’ wahrscheinlich zum Kramerladen“, sagt er. STEFAN SESSLER