München – Christian Maier, 47, betreibt am Viktualienmarkt „Leo‘s Obststandl“. Vom Pfifferling bis zur Papaya findet man hier alles. Gerade hat er von den neuen Einschränkungen erfahren. Maskenpflicht auch auf dem Viktualienmarkt – Maier würde am liebsten in die Papaya beißen. „Wir sind keine Partymeile, verkaufen keinen Schnaps. Wir sind nicht das Problem“, schimpft er. Die Maßnahmen träfen die Falschen. Viele Stammkunden kämen wegen Corona schon jetzt nicht mehr in die Innenstadt. Eine Maskenpflicht ist da keine rosige Aussicht. „Wir kämpfen ums Überleben – und die beschließen so unsinnige Maßnahmen.“ Auch Ayse Isler von „Blumen Rainer“ gegenüber ist verstimmt. „In den Läden tragen wir Masken, ansonsten sind wir hier an der frischen Luft und halten Abstand.“ Das reiche doch.
Die Stadt ist anderer Meinung. Als Dieter Reiter (SPD) um Punkt 12 Uhr vor die Presse tritt, ist seine Miene ernst. Normalerweise würde der Oberbürgermeister an diesem Montag über die Wiesn sprechen. Über getrunkene Mass Bier, verspeiste Hendl, das Traumwetter zum Anstich. Doch der Anlass ist weniger sonnig. München ist aktuell der Corona-Hotspot unter den Großstädten. Die 7-Tage-Inzidenz in der Landeshauptstadt liegt bei 56,1 – weit über dem Signalwert 50.
Schon am Freitag hatte die Stadt verkündet, die Maskenpflicht in Schulen ab der 5. Klasse beizubehalten. Weitergehende Einschränkungen für Kitas und Schulen sind vorerst nicht geplant. „Ich will Familien nicht zusätzlich belasten“, betont Reiter.
Dafür schränkt der städtische Krisenstab das öffentliche Leben wieder ein. Nur noch fünf Personen oder zwei Haushalte dürfen öffentlich zusammenkommen oder am Wirtshaustisch Platz nehmen. Maskenpflicht an stark frequentierten Orten wie dem Marienplatz, Viktualienmarkt oder der Fußgängerzone. Feiern nur noch mit bis zu 25 Gästen in Räumen sowie 50 Gästen im Freien. All das wird ab Donnerstag gelten, sollte die Inzidenz am Mittwoch weiter über 50 liegen – wovon auszugehen ist. Nach einer Woche soll die Lage neu bewertet werden.
„Wir müssen alles tun, um Menschenansammlungen zu vermeiden“, bekräftigt Reiter. Die Stadt will die Kontrollen verstärken, auch die Polizei prüft, mehr Beamte einzusetzen. Wer keine Maske trägt, dem drohen 150 Euro Strafe. Eine Verlängerung der Sperrzeit legt Reiter nicht vor – allerdings denkt die Staatsregierung genau daran.
Hinter den Kulissen laufen seit Tagen Gespräche zwischen Reiter und Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Die Grundlinie ist Konsens: Alles tun, um die Schulen offen und die Wirtschaft am Laufen zu halten. Söder hat München schon länger als Risikogebiet ausgemacht: viele Menschen auf engem Raum, verschiedene Infektionsstränge aus zu sorglosen Urlaubern und Partyvolk.
Noch vor Reiter steht Söder mit gerunzelter Stirn vor Journalisten. „Wir müssen die Entwicklung in den nächsten zehn Tagen brechen“, sagt er. Die Bundeswehr soll eingreifen, mit 100 Mann die örtliche Gesundheitsbehörde unterstützen. Vage spricht Söder über eine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen, verlängerte Sperrzeiten, besseren Schutz von Altenheimen. „Ich gebe zu: Unser Ansatz ist weniger spaßorientiert“, sagt er mit bitterem Unterton. Die spaßfreien Details zu verkünden, was in München fortan verboten ist, überlässt er Reiter. Es sind auch für Söder unangenehme Momente: ganz Deutschland schaut neugierig auf Bayerns Hotspots. Und ganz Bayern staunt, warum Söder ausgerechnet an diesem Wochenende alle Kneipen wieder aufsperren ließ.
Münchens CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl hält die Einschränkungen zwar für vertretbar. Zugleich fügt er an: „Die Verwaltung ist an eine Grenze gegangen, die schmerzhaft ist – für uns alle als Privatpersonen und auch für die ohnehin schon gebeutelte Gastronomie. Das kann keine Dauerlösung sein.“
Eine viel diskutierte Frage ist in diesen Tagen auch, ob die Zahlen solche Einschränkungen noch hergeben. Bis Mitte Juli (Grafik) hatten sich 7120 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, 222 davon starben. Seither haben sich weitere 3600 Menschen neu infiziert – aber es gab nur noch einen einzigen Todesfall.
Also medizinische Entwarnung? Professor Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie in der München Klinik Schwabing, sagt dazu: „Urlaubsrückkehrer sowie die bayerische Testoffensive sind die Hauptgründe für die aktuell steigenden Zahlen.“ Vermehrt seien es junge Menschen mit milden Verläufen. Zudem habe man gelernt, Pflege- und Altenheime besser zu schützen. Dennoch sei Vorsicht geboten: „Denn die Infektionsketten innerhalb von Familien und anderen Gruppen haben eine Latenzzeit, und schwere Fälle können erst später zu Buche schlagen.“ Reiter appelliert an alle Bürger, sich vernünftig zu verhalten, damit keine weiteren Maßnahmen getroffen werden müssten. Zum Beispiel eine Maskenpflicht fürs ganze Stadtgebiet.
Immerhin einer kann sich als Gewinner fühlen. Uwe Langhammer verkauft Masken auf dem Viktualienmarkt. Gestern hat der 54-Jährige seinen Stand aufgebaut. Der Zeitpunkt ist Zufall, der Platz wird wöchentlich neu vergeben. Langhammer hält die Maskenpflicht für „sinnvoll“. Er sagt: „Die Zahlen müssen wieder runtergehen, sonst sind auch die Weihnachtsmärkte in Gefahr. Die Branche kämpft gewaltig. Hauptsache, wir können weiter geöffnet haben.“