Berlin – „Der Puls einer neuen Generation“ steht auf einer LED-Wand in der Eingangshalle. An ein paar Stellen ist das Display schon defekt. Der Spruch stammt aus einer Daimler-Kampagne vor der Fußball-EM 2012. Vermutlich steht er seit acht Jahren dort.
Die Eingangshalle ist eine kleine Zeitkapsel. Wände, Info-Stände und Check-in-Schalter sind mit dunklem Holz verkleidet. Das galt Anfang des Jahrtausends als modern. Der beige Bodenbelag – fast schon retro. Automaten für den Handy-Check-in gibt es nicht, ebenso wenig Ladestationen für Smartphones. Ein „First Class“-Schild der Lufthansa hat man entfernt, denn das gehört nicht mehr zum Konzept der Airline. Die Schrift hat sich in die Wand eingebrannt. Die Sonne hatte dafür viele Jahre Zeit. „Wir werden noch ein paar Dinge nachrüsten müssen“, räumt Roland Böhm ein, der die Inbetriebnahme des Flughafens leitet (siehe Interview). Während der Cheftester das sagt, wuseln permanent Menschen an ihm vorbei.
400 Komparsen testen
Denn am Flughafen herrscht schon Vollbetrieb. Komparsen in grünen Jäckchen tun so, als wollten sie verreisen. Mit allem, was dazugehört: einchecken, Gepäck abgeben, Körperscan. Jeder Komparse hat ein Skript mit der Rolle, die er heute spielen muss. Manch einer muss mit Waffen-Attrappen durch die Kontrollen, andere verlieren eine demente Begleitung. Es gibt sogar Taschendiebe, die von der Polizei allein durch eine Personenbeschreibung gefunden werden müssen.
Für Familie Tharun ist das ein Spektakel. „Mein Sohn hat uns die Reise geschenkt“, sagt Christin Tharun, 41, aus Dresden. „Er ist verrückt nach Flugzeugen und wir reisen sehr viel. Er meinte, wir machen einen Ausflug und plötzlich stehen wir hier und testen den neuen BER – eine tolle Überraschung.“ Die Familie hat gerade ihr Gepäck bekommen, ihr Flug geht in zwei Stunden nach Southampton. Noch hebt hier kein Flieger wirklich ab, stattdessen gibt es eine 20-minütige Busfahrt als Simulation. „Der erste Eindruck vom Flughafen ist super“, sagt Tharun. „Große Parkhäuser, viel Platz, alles gut ausgeschildert.“
Auch Patrick Richter ist Komparse. Tausende hat der Flughafen engagiert, 400 sind heute im Einsatz. Richter studiert gerade sein Skript. „Wir durchlaufen zwei Rundgänge“, erklärt er. „Erst fliegen wir ab, dann landen wir, und dann geht es wieder zu einem neuen Ziel. Nachdem ich gelandet bin, muss ich noch meine Mehrwertsteuer irgendwo zurückverlangen. Ich bin noch am Grübeln, ob das zeitlich alles hinkommt.“
Richter ist nicht das erste Mal hier. Der Berliner studiert Verkehrswesen und war schon mal zu einer Besichtigung da. „Der Flughafen ist schick, alles wirkt gepflegt, aber vielleicht ist er ein wenig klein“, sagt er. „Mich interessiert sehr, wie heute alles funktionieren wird.“
Wenig später steht er unter Zeitdruck. Im „Terminal 1“ stauen sich Komparsen mit Sperrgepäck. Eine Frau läuft mit einem fünf Meter langen Stabhochsprungstab an ihm vorbei. Richter stellt sich an einem Schalter von Easyjet an. „Hier gibt es so viele Schalter von der Airline. Ich bin mir unsicher, wo ich richtig bin. Es ist ein bisschen unübersichtlich. Und wenn ich hier eine halbe Stunde anstehe, wäre ich natürlich froh, wenn ich richtig bin.“
Läden stehen noch leer
Nach knapp einer Stunde haben alle Komparsen eingecheckt, auch Patrick Richter hat seinen Boarding-Pass. Als die Tester den Sicherheitsbereich suchen, fällt auf: Der Weg ist nicht gut genug ausgeschildert. Vielen ist nicht klar, zu welchem Eingang sie sollen. „Das funktioniert noch nicht so gut“, sagt Böhm. Ein neuer Punkt auf seiner Liste, die bis Ende Oktober abgearbeitet sein muss.
Im Sicherheitsbereich wird klar, wie viel in den nächsten Wochen tatsächlich noch passieren muss. Die Duty-free-Läden sind Baustellen, von den 111 Cafés, Kneipen und Geschäften ist kaum eines fertig. Etwa 95 Prozent der Mietverträge sind seit 2012 gültig geblieben, in den vergangenen Jahren mussten sich die Shopbesitzer außerhalb des BER über Wasser halten. Manche haben Ausweichflächen an den Flughäfen Tegel und Schönefeld bekommen. Nicht alle Mieter haben aber überlebt. Vor der geplanten Eröffnung 2012 hatten die Besitzer ihre Läden bis ins kleinste Detail geplant, dann platzte der Termin. Die leeren Verkaufsflächen zeigen: Diesmal wollen sie ganz sichergehen.
„Das reinste Chaos“
Ob mit oder ohne Läden. Am 31. Oktober soll der BER starten. Wichtig ist, dass der Betrieb reibungslos läuft. Hartmut Schnur, 73, findet schon jetzt: „Das alles funktioniert grottenschlecht.“ Der Berliner Komparse und sein 80-jähriger Freund Eike sollten nach Grenoble. „Auf dem Boarding-Pass steht das Gate nicht, wir haben erst jetzt erfahren, dass das nur auf den Monitoren angezeigt wird“, sagt Schnur. Als sie kamen, war das Gate schon geschlossen. „Für uns ist das das reinste Chaos. Wir standen erst 20 Minuten bei der Sperrgepäck-Abgabe. Dann kam noch die Polizei für eine Waffenkontrolle vor uns, die hat fast 15 Minuten gedauert. Und auch danach, an der Sicherheitskontrolle, kommt kein Mensch auf die Idee, diejenigen vorzulassen, die gleich abfliegen. Wir waren nicht zu spät, absolut nicht.“
Hartmut Schnur ist sauer, obwohl er in Wahrheit gar keinen Flieger verpasst hat. „Ich finde keine Laufbänder, das Gebäude ist völlig alte Schule. Uns hat sehr interessiert, wie der Flughafen nach mehr als 3000 Tagen Verspätung funktioniert. Aber die zweite Runde machen wir nicht mit, das ist uns zu unorganisiert.“ Wieder eine Notiz auf Böhms langer Liste. Noch hat er gut fünf Wochen Zeit.