Europa setzt auf Abschottung

von Redaktion

Foto: Yara Nardi/Reuters

VON MICHAEL WINDE UND ANSGAR HAASE

Brüssel – Mit neuen Vorschlägen für eine effiziente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber will die EU-Kommission Bewegung in die seit Jahren blockierten Verhandlungen über eine Asylreform bringen. Der in Brüssel präsentierte Vorschlag sieht vor, Länder wie Griechenland und Italien vor allem mit einer starken Unterstützung bei der Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht zu entlasten. Bei der Verteilung der Flüchtlinge bleibt aber nahezu alles beim alten. Zur Aufnahme sollen Länder wie Ungarn und Polen nur in absoluten Ausnahmefällen verpflichtet werden. Zugleich will die EU-Kommission, dass alle EU-Staaten in Krisen ihren Beitrag zur gemeinsamen Migrationspolitik leisten.

Mit dem Brand des griechischen Flüchtlingslagers Moria war auch die Frage der Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas neu aufgeflammt. Die Hoffnungen von Hilfsorganisationen, die Situation könnte sich durch die Reformpläne verbessern, hat sich aber nicht erfüllt (siehe Kasten und Interview). Denn im Kern setzt die EU-Kommission unter Führung von Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihren Vorschlägen auf mehr Abschottung. Die Vorschläge im Detail:

Mehr Solidarität – in Ausnahmefällen

Das Konzept, über das die EU-Staaten und das EU-Parlament noch verhandeln müssen, sieht ein dreistufiges Verfahren vor. In normalen Zeiten können die EU-Staaten einander freiwillig helfen. Gerät ein Land unter Druck, kann es einen „Mechanismus für verpflichtende Solidarität“ auslösen. Die Kommission würde dann prüfen, wie viele Menschen dem Land abgenommen werden müssen. Jedes andere Land müsste Hilfe anbieten – aber selbst nicht zwingend Migranten aufnehmen. Sondern: Entweder nimmt es Migranten mit Aussicht auf einen Schutzstatus auf. Oder aber es hilft anderweitig, etwa durch Abschiebungen oder beim Migrationsmanagement.

Würde eine Krise wie 2015 eintreten, greift ein Krisen-Mechanismus. Entweder werden Migranten – auch solche ohne Aussicht auf einen Schutzstatus – aufgenommen, oder die Abschiebung einer bestimmten Anzahl abgelehnter Asylbewerber wird übernommen. Diese Abschiebung muss innerhalb von acht Monaten erfolgen. Gelingt das nicht, muss das Land sie selbst aufnehmen.

Asylanträge schon an der Grenze prüfen

Bevor ein Migrant ins Land kommt, soll der betroffene Staat nach Vorstellung der EU-Kommission an der Grenze eine Vorüberprüfung vornehmen, die deutlich umfangreicher als bisher ist: Der Migrant wird registriert, Fingerabdrücke, Gesundheits- und Sicherheitschecks. Kommt der Asylbewerber aus einem Land mit geringerer Anerkennungsrate, Tunesien oder Marokko zum Beispiel, soll innerhalb von zwölf Wochen ein Grenzverfahren durchgeführt werden.

Dies soll sowohl Schmuggler als auch die Menschen selbst abschrecken, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Gelingt das Verfahren nicht in zwölf Wochen, müsste ein normales Asylverfahren durchgeführt werden. „Ich möchte, dass wir schnelle Entscheidungen und schnelle Rückführungen haben“, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Zugleich müsse das Recht auf Asyl verteidigt werden.

Umstrittene Dublin-Regeln bleiben

An den Dublin-Regeln hält die EU-Kommission grundsätzlich fest. Demnach ist meist jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, auf dessen Boden der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat.

Bestimmte Menschen sollen allerdings schon zuvor auf andere EU-Staaten verteilt werden – etwa, wenn sie dort Geschwister haben oder dort in der Vergangenheit studiert oder gearbeitet haben. Gleiches gilt, wenn der Asylbewerber zuvor legal mit einem Visum in ein EU-Land gereist ist. Dann soll der Staat zuständig sein, der das Visum ausgestellt hat. Dies soll die sogenannte sekundäre Migration verhindern, also das Weiterziehen von einem EU-Land in das nächste. Griechenland und andere Südstaaten hatten mehrfach die Abkehr vom Dublin-System gefordert. Es werde Enttäuschungen in allen EU-Staaten geben, sagte Johansson. „Es gibt keine perfekte Lösung. Es geht darum, eine ausgewogene Lösung zu finden.“

Schneller abschieben, mehr Grenzschutz

Zum einen soll es nach Vorstellung der EU-Kommission sogenannte Abschiebe-Patenschaften geben. Wenn ein Land in Krisensituationen keine Migranten aus einem anderen EU-Staat aufnehmen will, kann es also die Abschiebung einer bestimmten Anzahl nicht Schutzberechtigter übernehmen.

Die EU-Kommission will Rückführungen aber auch anders beschleunigen. Als Hebel soll auch die Visum-Politik der EU eingesetzt werden. Zudem soll ein „EU-Koordinator für Rückführungen“ ernannt werden, der mit Fachleuten der EU-Staaten zusammenarbeitet. Auch der Außengrenzschutz solle verbessert werden. Die EU-Kommission sieht eine stärkere Rolle für die die Grenzschutzagentur Frontex vor.

Seenotrettung ist Pflicht

Die Rettung von in Seenot geratenen Migranten ist nach Ansicht der EU-Kommission eine Pflicht. Die EU-Kommission will nun, dass der „Mechanismus für verpflichtende Solidarität“ auch hier Anwendung findet. Entweder die EU-Länder nehmen Gerettete auf, oder sie helfen anderweitig, etwa bei Abschiebungen.

Zusammenarbeit mit Drittstaaten

Die EU soll nach Ansicht der Kommission an Abkommen mit anderen Ländern arbeiten, die beiden Seiten helfen. Dadurch sollen Menschenschmuggel bekämpft, aber auch legale Wege in die EU sollten geschaffen werden. Um passende Arbeitskräfte zu finden, sollten Talent-Partnerschaften mit Nicht-EU-Ländern gestartet werden. Zudem plant die Behörde einen Plan für Integration und Inklusion.

Umsetzung der Vorschläge noch offen

Ob der Plan eine Chance auf Umsetzung hat, ist völlig offen. Die EU-Staaten streiten seit Jahren ergebnislos über die Asylpolitik. Knackpunkt sind die Dublin-Regeln, die Länder an den südlichen EU-Außengrenzen wie Griechenland oder Italien belasten. Sie fordern eine verpflichtende Verteilung der Migranten auf die anderen Länder. Staaten wie Österreich, Ungarn, Tschechien und Polen lehnen das ab. Von der Leyen appelliert an die Staaten, ihr Konzept als Basis zu nehmen. „Es ist an der Zeit, sich der Herausforderung zu stellen, Migration gemeinsam zu gestalten – mit der richtigen Balance von Solidarität und Verantwortung.“

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