Bayerns Angst vor dem Atom-Endlager

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München/Berlin – Manchmal muss man Dinge laut aussprechen, um ihr ganzes Ausmaß zu begreifen. Als Markus Söder (CSU) sich hinter dem Stehpult aufgebaut und seine Maske abgezogen hat, spricht er kurz von der großen Verantwortung, ein passendes Atommüll-Endlager zu finden und von der „Hauptlast“, die Bayern jetzt schon trage. Den inzwischen gut eingeübten staatsmännischen Sound legt er aber schnell ab. Fast zwei Drittel Bayerns seien im Zwischenbericht zur Endlagersuche genannt, Söder sagt wörtlich „betroffen“. „Das sind Unterfranken: komplett. Oberfranken: komplett. Mittelfranken: komplett. Oberpfalz: komplett. Niederbayern: komplett.“ Außerdem halb Schwaben und Teile Oberbayerns. Der Freistaat – ein potenzielles Atom-Endlager.

Die Aufzählung klingt dramatisch, soll sie auch. Dem Ministerpräsidenten und Erfinder der ruhig mahnenden Corona-Predigt steckt der Schock bei der Pressekonferenz in München noch in den Gliedern, Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler), der nervös daneben steht, auch. Gegen Atommüll im fernen Gorleben haben beide ja nichts einzuwenden. Aber daheim in Bayern?

Der Alarm ist groß, dabei ist eine Entscheidung über einen Lagerort noch in weiter Ferne. Der Zwischenbericht, den die für die Suche zuständige Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) am Montagvormittag vorgestellt hat, führt nur Gebiete auf, die nach geologischen Kriterien geeignet sein könnten. 90 „Teilgebiete“ werden genannt, sieben davon in Bayern. Sie umfassen 76 Landkreise und kreisfreie Städte und eine Fläche von 42 000 Quadratkilometern. Insgesamt sind 54 Prozent der Bundesfläche als Teilgebiet ausgewiesen – das halbe Land.

Es geht um rund 30 000 Kubikmeter hoch radioaktiven Mülls, der ab 2050 unterirdisch gelagert werden soll. Als „Wirtsgesteine“ sind dabei besonders Salz, Ton und Kristallin geeignet, also vor allem Granit. Bayerns Granitvorkommen sind groß, gerade in Oberfranken, der Oberpfalz und Niederbayern. Die oberbayerischen Regionen am Chiemsee, bei Mühldorf und Dorfen kommen wegen ihres Tongesteins infrage.

Söder hat in allen Fällen größte Bedenken: Salzgestein gebe es ohnehin nur wenig in Bayern, die Tonschichten seien zu dünn, das Granit viel zu bröckelig. Kurz: Der CSU-Chef hält Bayern für ungeeignet, das ganze Suchverfahren – dem der Freistaat allerdings zugestimmt hat – für problematisch. „Wir werden keine Totalblockade machen“, sagt er mehrmals. Aber man werde das weitere Verfahren „sehr konstruktiv und kritisch begleiten“. Dazu kündigt er eigene wissenschaftliche Studien an. All das klingt wie eine Kampfansage.

Auch das Wort Fairness fällt. Söder meint, sie sei gerade nicht gegeben, in interessierten Kreisen herrsche wohl die Idee, es den Bayern jetzt mal richtig zu geben. Vor allem die Tatsache, dass der Salzstock Gorleben nun plötzlich gar nicht mehr als mögliches Endlager auftaucht, gilt ihm und Glauber als Indiz dafür, dass hier etwas schräg gelaufen ist. Der Umweltminister, in Ton und Inhalt noch schärfer als der Chef, sagt: „Es zählt Geologie vor Ideologie.“

Darin steckt der recht unverhohlene Vorwurf der politischen Einflussnahme auf die BGE. Deren Geschäftsführer Stefan Studt weist die Kritik schon am Montagmorgen zurück. Es habe zu keinem Zeitpunkt Einfluss gegeben, sagt er in Berlin. „Wir arbeiten rein wissenschaftlich.“ Überhaupt seien die bayerischen Klagen nicht nachvollziehbar. Nichts sei schädlicher, als jetzt das ganze Verfahren infrage zu stellen.

Die BGE hält das hoch umstrittene Endlager Gorleben aus geologischen Gründen für nicht geeignet. Vor allem das Deckgebirge sei nicht mehr intakt. Studt betont aber auch, dass es sich um einen ersten Bericht handele. Die ausgewählten Regionen seien „noch lange kein Endlagerstandort“. Der soll erst bis 2031 gefunden sein.

Trotzdem ist der politische Streit schon jetzt entbrannt. Grüne, Linke und SPD im Bund werten das Gorleben-Aus als Erfolg, die CSU als Affront. Auch in der Münchner Regierungskoalition hängt der Haussegen nun wieder etwas schiefer. Florian Streibl, Fraktionschef der Freien Wähler, wirft der CSU vor, den Ärger mitgeschaffen zu haben. 2013 habe der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer der Ausweitung des Suchgebiets auf Bayern zugestimmt, um die Ausländermaut voranzubringen. „Für ein ‚Linsengericht‘ hat Seehofer unsere Heimat Bayern verkauft.“ Für Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann stiehlt sich die Staatsregierung aus der Verantwortung.

Das Suchverfahren steht ganz am Anfang. Im nächsten Schritt sollen weitere Faktoren berücksichtigt werden, etwa die Bevölkerungsdichte in der jeweiligen Region. Dass am Ende gar kein Gebiet tauglich ist, schließt BGE-Geschäftsführer Studt aus. „Die Geologie ist von Nord bis Süd und Ost bis West so günstig, dass sich ein Standort wird ermitteln lassen.“

Söder will kommende Woche weiter beratschlagen. Gestern kündigt er an, alle Oberbürgermeister und Landräte zum Gespräch einzuladen – um zu hören, was die so denken. Eines sei klar: „Am Ende wird politisch entschieden. Dort, wo wir zu entscheiden haben, werden wir das ganze politische Gewicht der Staatsregierung einbringen.“

Artikel 2 von 5