4 FRAGEN AN
Norbert Flach ist Vize-Landesvorsitzender und Tarifkoordinator der Gewerkschaft Verdi in Bayern. Unsere Zeitung sprach mit ihm über Streik und Verantwortung in Corona-Zeiten.
Herr Flach, alle achten auf Abstand. In München dürfen sich privat nur fünf Menschen treffen. Aber der Streik zwang Fahrgäste in volle Busse und Bahnen. War das verantwortbar?
Wir haben gründlich abgewogen und auch diese Frage berücksichtigt. Auch an normalen Wochentagen sind Pendler – auch ich bin einer – oft in Bussen und Bahnen eingepfercht. Da fragt auch keiner nach, ob das verantwortbar ist.
Sie hatten keine gesundheitlichen Bedenken?
Entscheidend ist die Pflicht zum Tragen einer Maske! Die ist im normalen Berufsverkehr ausreichend als Infektionsschutz anerkannt. Nach unserer Wahrnehmung wird die Maskenpflicht konsequent eingehalten. Und nicht zuletzt ist Streikrecht ein Grundrecht.
Dennoch denken viele: Musste man davon in dieser schweren Zeit so Gebrauch machen?
Es gibt in dieser Belastungssituation sicher keinen Dauerstreik. Aber ein Zeichen mussten wir setzen. Der Druck auf uns war hoch. Das zeigt sich schon darin, dass 80 bis 90 Prozent der Kolleginnen und Kollegen dem Streikaufruf gestern folgten. Unsere Mitglieder erwarten was. Viele wurden erst als systemrelevant beklatscht und bekamen eine Ohrfeige, sobald es um Bezahlung ging. Wir hatten angeboten, die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst gegen Einmalzahlung zu verschieben. Die kommunalen Arbeitgeber lehnten ab.
Beim Nahverkehrsstreik ging es aber nicht ums Gehalt des Klinikpersonals, das gerade viel Anerkennung genießt. Schadet die zeitliche Verquickung der Themen nicht auch deren Sache?
Das Argument könnte ich nachvollziehen, wenn ich den Eindruck hätte, die verbale Anerkennung hat positiven Einfluss auf die Verhandlungen. Und zu unseren Forderungen für einen bundesweiten Rahmentarifvertrag für den Nahverkehr hätten die kommunalen Arbeitgeber ja zunächst auch Verhandlungen aufnehmen können. Aber sie waren einstimmig – mit Stimmen der Münchner – gar nicht erst bereit, darüber zu reden. Bei uns entstand der Eindruck, dass sie die Situation ausnutzen. Sie wussten, dass wir es in der Pandemie schwer haben würden, zu mobilisieren und wirkungsvolle Bilder von Massenstreiks in die Medien zu bekommen. Den umgekehrten Schuh, wir würden die Situation ausnutzen, ziehe ich mir nicht an.
Interview: Stefan Reich