Washington – Die Videos und Bilder vom Samstag vor einer Woche zeigen im Rosengarten des Weißen Hauses viele fröhliche Menschen. Sie sitzen im besten Anzug oder Kostüm aufgereiht auf Klappstühlen nebeneinander, eng an eng. In der ersten Reihe haben die Richterin Amy Barrett, ihr Ehemann und die sieben Kinder Platz genommen. Auch sie tragen wie die meisten Anwesenden des Termins keine Schutzmasken, als Präsident Donald Trump Barrett auf die Bühne bittet und sie als seine Kandidatin für den obersten Gerichtshof vorstellt. Die Gäste applaudieren, dann verteilen sie sich in kleine Gruppen. Es gibt Umarmungen und Küsschen.
Heute weiß man: Die Veranstaltung, bei der alle Vorgaben der Gesundheitsbehörde zum Schutz vor Corona missachtet wurden, ist wohl einer jener so gefürchteten Massenansteckungs-Momente gewesen, bei dem es für die Virenpartikel ein Leichtes war, neue Opfer zu finden.
Wer an diesem Tag die Pandemie in den Rosengarten brachte, ist unklar. Doch die Liste der Menschen, die inzwischen infiziert sind, wird täglich länger. Es sind Senatoren, Berater Trumps, Wahlkampfmanager Bill Stepien, der frühere Präsidentschaftskandidat Chris Christie – und schließlich die First Lady und Donald Trump selbst, der nach dem Außentermin auch jene nach innen zu einem Sektempfang bat, die jetzt positiv getestet wurden.
Wenig hat die Weltmacht so erschüttert wie die Donnerstagnacht verkündete Diagnose des Präsidenten. Am Vortag war bereits seine enge Helferin Hope Hicks, 31, unter Grippesymptomen leidend, während eines Flugs der „Air Force One“-Maschine getestet worden – mit positivem Ergebnis. Berichten zufolge wurde Hicks dann im Jet von den Mitreisenden getrennt. Und Trump – statt sich wie vorgeschrieben sofort in Quarantäne zu begeben – flog am Donnerstag noch in sein Golf-Resort Bedminster im Bundesstaat New Jersey, wo er unmaskiert mit Dutzenden von Gästen Kontakt hatte, die teilweise bis zu 50 000 Dollar für den Termin zahlten und nun in großer Sorge leben
Am Donnerstagabend, nach der Rückkehr, traten dann beim Präsidenten erste Symptome auf. Große Verwirrung gab es am Wochenende aufgrund widersprüchlicher Angaben des Trump-Ärzteteams, wann genau der Präsident positiv getestet worden ist – bereits am Mittwoch? Während sich die behandelnden Mediziner zunächst weigerten, zu ernsthaften Atemproblemen Trumps in den ersten 24 Stunden seiner Erkrankung Stellung zu nehmen, verlautete aus dem Weißen Haus: Trump habe im Verlauf des Freitags zusätzlich Sauerstoff benötigt, der ihm vermutlich über eine Nasenkanüle oder Atemmaske verabreicht wurde. Auf 93 Prozent sank die Sauerstoff-Sättigung in seinem Blut demnach zweimal.
Sein Stabschef Mark Meadows bestätigte dies am Samstag: Die Sauerstoffwerte seien plötzlich „dramatisch“ gefallen, die Lage ernst gewesen. Eine Bewertung, auf die Trump später „wütend“ reagiert habe, so die „New York Times“. Am Freitagnachmittag waren die Ärzte so besorgt, dass sie und Berater Trump drängten, sich in seinen Anzug zu zwängen und mit dem Helikopter „Marine One“ ins Militärkrankenhaus Walter Reed fliegen zu lassen.
Beim kurzen Gang über den Rasen zum Hubschrauber trug Trump dann jene Maske, über die er sich so oft lustig gemacht hatte – das Bild eines Politikers, der durch Schaden klug geworden ist. Doch es ist eine späte Einsicht angesichts von nahezu 210 000 Coronavirus-Toten in den USA und dem Fakt, dass Trump durch seine laxe Einstellung das Weiße Haus zum Corona-Brennpunkt machte. Journalisten berichten, dass im „West Wing“ seit Monaten so gut wie niemand Maske getragen haben. Bis heute sind drei Reporter des Pressekorps positiv getestet.
Bei der Debatte mit Joe Biden am Dienstag legte die gesamte Trump-Familie mit Ausnahme der First Lady demonstrativ die Masken im Zuschauerraum ab, obwohl anwesende Mediziner sie baten, dies nicht zu tun. Und Trump-Berater Chris Christie, der wie Trump derzeit stationär behandelt wird, enthüllte: Beim Training für die Debatte habe niemand einen Gesichtsschutz benutzt. Es scheint also nur eine Frage der Zeit, bis sich die Pandemie im Weißen Haus weiter ausweitet.
Die Welt blickt jedoch vor allem auf Trump, der am Samstag in einem Video von der Präsidentensuite seines Hospitals aus die Ärzte lobte und erklärte: „Es geht mir schon viel besser.“ Video-Experten glauben jedoch, dass ein Huster des Präsidenten aus der vier Minuten langen Botschaft geschnitten wurde.
Erfahrungen bei der Corona-Behandlung zeigen, dass sich bei Erkrankten nach anfänglich gutem Zustand vor allem in der zweiten Infektionswoche eine rapide Verschlechterung einstellen kann. Die Uhr tickt also für Trump, der mit dem Virenhemmer Remdesivir und einem experimentellen Antikörper-Präparat behandelt wird (siehe Randspalte). Sein Stabschef warnte bereits am Samstag: Die nächsten 48 Stunden könnten entscheidend sein. „Er ist noch nicht über den Berg“, sagte auch Leibarzt Sean Conley. Andere Ärzte hingegen verbreiteten, vielleicht könne er schon heute zurück ins Weiße Haus.
Wegweisend sind die nächsten Tage nicht nur für Trumps Gesundheit, sondern auch für die vielen Fragen, die die Wahl am 3. November begleiten (siehe unten). Dazu gehört die Berufung der Richter-Kandidatin Barrett an den Supreme Court. Mindestens drei Senatoren der Republikaner haben sich im Weißen Haus infiziert, und beim so wichtigen Votum über Barrett – das noch vor der Wahl durchgepeitscht werden soll – müssen sie persönlich auf dem Kapitol erscheinen.