Garching – Eines der größten Probleme war der Champagner. Sie hatten einfach keinen Schampus zum Anstoßen im Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. Aber damit hat gestern Morgen auch keiner gerechnet hier in Garching, Endstation der U6 und Forschungsheimat eines frischgebackenen bayerischen Nobelpreisträgers. Sein Name: Reinhard Genzel, 68. Sein Beruf: Astrophysiker. Sein Fachgebiet: Schwarze Löcher, Sterne, Kerne von Galaxien.
Genzel gilt als hochintelligent, menschlich und zielstrebig. So beschreiben ihn seine Mitarbeiter, die das Champagner-Problem gestern doch noch in kürzester Zeit gelöst haben. Auf Bayerns Top-Wissenschaftler ist auch in dieser Hinsicht Verlass.
Gegen Mittag steht Genzel in einem Besprechungsraum, der kurzfristig zum Partyraum umfunktioniert wurde, und erzählt, wie ihn der Anruf der Schwedischen Akademie der Wissenschaften eiskalt überrascht hat. Er war gerade in einer Videokonferenz, als plötzlich das Telefon klingelte. „This is Stockholm“, sagte eine Stimme. Hier ist Stockholm. Da ahnte Genzel, was ihm blühte – die größte Anerkennung, die ein Wissenschaftler bekommen kann. Der Nobelpreis. 20 Minuten später wurde er offiziell als Preisträger benannt.
Genzel schwenkt sein Champagner-Glas und stößt immer wieder mit Gratulanten an. „Ich habe das wirklich nicht erwartet“, sagt er. Es sind magische Minuten, unvergessliche. Genzel lacht, stößt an, lacht, alle lachen. Ein Ausnahmeforscher am Höhepunkt seines Erfolgs.
Wahrscheinlich gibt es nicht viele Menschen auf der Welt, die bis ins letzte Detail verstehen, wie man Schwarze Löcher erforscht. Deswegen hier ein Einsteiger-Kurs:
Schwarze Löcher gehörten lange zu den größten Rätseln der Astronomie. Der US-Physiker John Archibald Wheeler hat die Bezeichnung Mitte der 1960er-Jahre erfunden. Schwarze Löcher zählen zu den bizarrsten Objekten des Weltalls. Im Zentrum des Schwarzen Lochs konzentriert sich dessen gesamte Masse in einem einzigen Punkt mit unendlich hoher Dichte und unendlich starkem Gravitationsfeld. Ihre Gravitation ist so stark, dass selbst Licht ihnen nicht entweichen kann. Niemand hat also je ein Schwarzes Loch selbst direkt gesehen – es ist einfach schwarz.
Genzel hat entscheidend dazu beigetragen, Licht in dieses Dunkel zu bringen, indem er mit immer besseren Hightech-Teleskopen ins All blickte. Durch jahrzehntelange Beobachtung konnte er nachweisen, dass im Zentrum unserer Milchstraße ein Schwarzes Loch von 4,3 Millionen Sonnenmassen existiert. Genau dafür wurde er nun mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. „Wir haben 30 Jahre dafür geschuftet“, sagt er am Dienstag bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz.
Genzel wurde im hessischen Bad Homburg geboren. In Freiburg ging er aufs Gymnasium. Er lernte Latein und Griechisch. Bereits sein Vater war ein bekannter Physiker, „und ich habe den größten Teil meiner frühen Physik von ihm gelernt“. Jahrelang trieb Genzel intensiv Sport. „Bis heute bin ich stolz darauf, einer der besten jungen Speerwerfer Deutschlands gewesen zu sein“, erzählte er einmal. „Ich schaffte es sogar in die deutsche Leichtathletik-Nationalmannschaft der Junioren, die für die Olympischen Spiele 1972 in München trainierte.“
Nach einer allgemeinen physikalischen Ausbildung an den Unis in Freiburg und Bonn promoviert Genzel 1978 am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. 1976 heiratet er seine Frau, eine Ärztin, das Paar hat zwei Töchter. Danach ist Genzel viele Jahre in den USA tätig, auch als Professor für Physik an der University of California in Berkeley. Seit 1986 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, arbeitet aber auch an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Genzel hat das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße mit der US-Forscherin Andrea Ghez entdeckt. Dafür erhalten die beiden die eine Hälfte des Preises. Die zweite Hälfte geht an den Briten Roger Penrose, der erkannte, dass die Bildung von Schwarzen Löchern eine robuste Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie ist (siehe Randspalte). „Die diesjährigen Preisträger haben Geheimnisse in der dunkelsten Ecke unseres Universums gelüftet“, betont Physiker Ulf Danielsson vom Nobelkomitee bei der Bekanntgabe in Stockholm. Das gesamte Preisgeld, das sich die Forscher teilen, beträgt 950 000 Euro. Genzel ist der sechste Deutsche seit 2000, dem der Physik-Nobelpreis zuerkannt wird.
Genzel ist zwar schon seit Jahren am Forschen, aber der Wissenshunger lässt ihn nicht los. Wer einmal ins All geblickt hat, der kann nicht damit aufhören. Der Astrophysiker legt große Hoffnungen in den Bau eines neuen Riesenteleskops in Chile, erzählt er jetzt. Das „European Extremely Large Telescope“ mit einem Spiegeldurchmesser von etwa 40 Metern. „Damit hoffen wir dann, noch mal bessere Messungen machen zu können“, sagt er bei der Pressekonferenz. Es gibt noch viele Rätsel für ihn zu lösen.
Zum Beispiel auch, wie und mit wem er diesen Giganten-Preis am Abend eigentlich feiern soll. Seine Ehefrau fällt aus, sie ist gerade bei der Tochter in Holland, die ein Kind bekommen hat. „Vielleicht finden sich ja einige Kolleginnen und Kollegen“, sagt er, „die zusammen mit mir ein Glas Wein trinken.“ Er lacht. Natürlich wird er Begleiter finden. Das wird das einfachste Forschungsprojekt seines Lebens. Nobelpreisträger lässt man an so einem Tag doch nicht alleine. mit dpa