München – Für Markus Söder, der zu Kanzlerbesuchen gerne Kutschen, Schifferl und Königsschlösser rausputzt, ist das ein echt raues Ambiente. Im Zollamt Bad Reichenhall, einem grauen Betonklotz neben der stinkenden und lärmenden Autobahn A 8, empfängt Bayerns Ministerpräsident heute Nachmittag Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Kein Staatsbesuch, ein Arbeitstreffen – aber mit Brisanz in der Corona-Krise.
Zwischen Bayern und Österreich ist das Klima nämlich stark abgekühlt in den vergangenen Wochen, das merkten sie auch jenseits der Grenze irritiert. Kurz, der junge und von vielen Konservativen in Europa bewunderte Kanzler, hatte zu Beginn der Pandemie mit entschlossenen Maßnahmen den Takt jener Länder vorgegeben, die die Virus-Gefahr früh ernst nahmen. Söder kopierte Österreichs Regeln sogar leicht zeitversetzt.
Zwischendrin kam Kurz aber ins Schleudern: Er lockerte früh bei Maskenpflicht und Sperrstunden – bis die Zahlen im Land wieder stark stiegen. Das kostete ihn Popularität. Und Söder sprach plötzlich ganz anders über Österreich, betonte die virologischen und politischen Schäden des Kurswechsels („völliger Rollback“) und redete immer wieder über das Desaster im Party-Skiort Ischgl im Februar, das derzeit wenigstens juristisch aufgearbeitet wird.
Vor allem in Tirol und Vorarlberg (Inzidenz über 75) löste zudem die deutsche Reisewarnung Ende September einen Schock aus. „Eine nicht stattfindende Wintersaison ist eine Katastrophe“, sagte Kurz Minuten nach der Nachricht aus Berlin: „Da geht’s grad um sehr viel.“ Seine Regierung verhandelt derzeit europaweit diskret über eine Rücknahme, Belgien wurde bereits überzeugt. Im Hintergrund ist die Debatte um die Corona-Regeln nämlich auch ein Kampf um die Touristen. Nicht erst im Winter, schon in den Herbstferien in drei Wochen will Söder möglichst viele Reisende in Bayerns Hotels halten. Für den Infektionsschutz und erst recht für die Wirtschaft.
Kurz und Söder, Duzfreunde und eigentlich in direktem SMS-Kontakt, haben also eine Menge zu bereden heute – mehr als in die vereinbarten 45 Minuten im Betonklotz passt. Immerhin gibt es auch gemeinsame Interessen: Vor allem für Pendler und den Warenverkehr wollen beide Seiten die Grenze offen halten, anders als in der ersten Welle. Führende CSU-Politiker hatten sich außerdem in Berlin erfolgreich dafür eingesetzt, dass das Kleinwalsertal und die Gemeinde Jungholz als Risikogebiete doch noch ausgenommen werden.
Der Termin fürs Treffen wurde länger gesucht, fast hätte ein Corona-Fall im Kanzleramt am Montag Kurz aufgehalten. Genauso intensiv wurde der Ort verhandelt – genau hinter der Grenze. Söder wollte, so ist zu hören, ja nicht in ein österreichisches Risikogebiet reisen. „Wir treffen uns auf bayerischem Boden“, sagt er nun zufrieden.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER