Bayern im Hochzeitsstau

von Redaktion

VON CLAUDIA SCHURI

München – Das Kleid hing schon zu Hause an der Kleiderstange – gut verpackt im Kleidersack, damit es für den Bräutigam eine Überraschung bleibt. Auch ihre silbernen Eheringe hatten Stefan Pscherer und Julia Ascher aus Kirchdorf (Kreis Freising) schon daheim. „Zum Glück hat sie der Goldschmied noch nicht graviert“, sagt Julia Ascher. Seit zwei Jahren hatten die 33-Jährige und ihr 35-jähriger Freund ihre Hochzeit geplant. Als alles vorbereitet war, kam die Corona-Pandemie dazwischen. „Es war sehr emotional, wir waren schon traurig“, erzählt die Braut. „Innerhalb von ein paar Wochen hat sich alles zerschlagen, auf das wir uns so lange gefreut hatten.“

Eigentlich hätte das Paar dieses Jahr am 17. April standesamtlich und am 6. Juni kirchlich geheiratet. Die Tage waren bewusst gewählt. „Der Tag der standesamtlichen Trauung war unser 15. Jahrestag“, sagt Stefan Pscherer. „Und der Termin für die kirchliche Hochzeit wäre ein schönes Datum gewesen.“ Jetzt müssen die beiden mit anderen Terminen vorliebnehmen. Nach langem Hoffen und Bangen haben sie beschlossen, die Hochzeit um ein Jahr zu verlegen. So wie viele andere Paare auch. Bayernweit sind die Eheschließungen heuer im ersten Halbjahr auf rund 22 600 gesunken – das sind rund 5700 Hochzeiten weniger als im Vorjahreszeitraum.

Ein Trend, den auch die Restaurants spüren. „Fast alle Hochzeiten wurden auf 2021 verschoben“, berichtet Anneliese Hofmeier vom Hotel und Landgasthof Hofmeier in Hetzenhausen (Kreis Freising): Sie ist froh, dass ihr Terminkalender für 2021 voll ist.

Jeden Samstag, von April bis August, wird in der Gaststätte Hochzeit gefeiert – vorausgesetzt, die Corona-Pandemie lässt es zu. Sogar für 2022 hat sie schon erste Termine im Kalender. „Wer dann heiraten möchte, sollte am besten schon jetzt ein Datum reservieren“, rät sie. Alle, die nicht mehr so lange warten möchten, müssen flexibel sein, erklärt Hofmeier: „An Freitagen haben wir noch ein paar Termine frei.“

Zu solchen Lösungen rät auch Frank-Ulrich John, Geschäftsführer beim Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband. „Unter der Woche wird die Feier genauso schön wie am Samstag“, sagt er. „Und auch im Frühling oder Herbst kann es traumhafte Hochzeiten geben.“ Er hat einen weiteren Tipp: „Man sollte auch die Stadthotellerie unbedingt mit auf dem Schirm haben. Viele große Hotels haben schöne Ballsäle und sind hochprofessionelle Gastgeber.“ Weil Messen und Geschäftsreisen ausfallen, seien die Hotels oft nicht ausgelastet – und über kurzfristige Veranstaltungen erfreut.

Die katholischen Pfarreien, betont Monsignore Thomas Schlichting vom Erzbistum München und Freising, seien bei kirchlichen Trauungen ebenfalls flexibel. „Für uns ist es nicht so schlimm, wenn eine Trauung kurz vorher abgesagt werden muss“, sagt er. „Wir haben Verständnis für die Situation.“ Mittlerweile sind wieder kirchliche Eheschließungen möglich – mit Maskenpflicht, sollten die Gäste nicht am Platz sitzen. „Auch beim Singen empfehlen wir dringend, Masken zu tragen“, sagt er. „Aber bei vielen Hochzeiten singen sowieso engagierte Sänger.“

Geachtet wird auch auf den Abstand zwischen Brautpaar und Pfarrer. „Das kann sogar einen Vorteil haben“, sagt Schlichting. „Die Brautpaare sprechen lauter.“ Das Eheversprechen ist dann für die Gäste noch besser zu hören. Auch Schlichting rechnet 2021 mit vielen Trauungen. „Wir schätzen, dass es eine hohe Termindichte gibt.“

Viele Hochzeitsplaner haben trotzdem freie Kapazitäten. „Viele Brautpaare sind noch zurückhaltend“, sagt Judith Ihl-Lange aus Nürnberg. Die Vorsitzende des Bunds deutscher Hochzeitsplaner betreibt selbst ein Hochzeitshaus. Doch auch sie prophezeit: „Es wird enger werden im Jahr 2021.“ Umso wichtiger sei es, frühzeitig zu organisieren. Es sei ein Zwiespalt: Einerseits möchten sehr viele Paare heiraten, andererseits hätten viele wegen der Corona-Krise Bedenken, konkret zu planen. „Ich verstehe beide Seiten“, sagt Ihl-Lange. „Das Dilemma der Brautpaare und die schwierige Situation der Dienstleister.“

Viele Paare, sagt Ihl-Lange, hätten ihre Hochzeit zunächst von Frühjahr auf Herbst verschoben – und wüssten jetzt wieder nicht, was sie tun sollen. Herzliche Umarmungen nach der Trauungen, gemeinsam tanzen, eine ausgelassene Party mit allen Freunden und Verwandten – so sollte er sein, der sprichwörtlich schönste Tag des Lebens. Aber ob das alles dann so geht? „Die Brautpaare sind verzweifelt“, sagt die Hochzeitsplanerin. Zwischen 10 000 und 30 000 Euro würde eine große Hochzeit häufig kosten. „Da ist Planungssicherheit wichtig.“ Sie rät, bei allen Verträgen vorab zu prüfen, welche Regeln bei Absagen des Fests gelten. „Wenn alle dazu bereit sind, finden sich immer Lösungen.“ Ähnlich sieht es Frank-Ulrich John vom Gaststättenverband: „Es ist wichtig, rechtzeitig auf den Wirt zuzugehen. Sollte sich kurzfristig etwas ändern, kann man immer miteinander reden.“

Das hat auch bei Julia Ascher und Stefan Pscherer funktioniert. Die beiden wollten ihre kirchliche Hochzeit mit 100 bis 120 Personen in Oberaudorf im Kreis Rosenheim feiern. „Wir mögen die Berge, das passte wunderbar“, sagt der Bräutigam. In dem Hotel, wo das Fest stattfinden sollte, hatten sie bereits 35 Zimmer für die Gäste reserviert. „Wir konnten aber alles kostenlos umbuchen“, berichtet Pscherer.

Viele Dienstleister kommen Hochzeitspaaren ebenfalls entgegen. Das betont Ingrid Dörr vom Fotostudio Dörr in Wolfratshausen: „Bei uns kann man unverbindlich einen Termin reservieren“, sagt sie. Bisher sei die Nachfrage nach Hochzeit-Fotoshootings nächstes Jahr aber noch verhalten: „Viele Paare sind vorsichtig und schauen erst, wie sich alles entwickelt.“ Für Hochzeitsfotografen sei die Arbeit gerade schwer: „Wir müssen mit Abstand fotografieren“, erklärt Dörr. Ein Gruppenfoto, auf dem alle Gäste eineinhalb Meter voneinander entfernt stehen oder Maske tragen, sei zwar nicht so schön wie eines, auf dem alle beisammen stehen. „Aber wir können sonst die Verantwortung nicht übernehmen.“

Das Umorganisieren ist für Brautpaare und Hochzeitsplaner eine Herausforderung. „Es ist nicht leicht, alle Dienstleistungen unter einen Hut zu kriegen“, sagt Judith Ihl-Lange. Nicht nur das Restaurant und der Standesbeamte, Priester oder Trauredner müssten Zeit haben, sondern zum Beispiel auch Fotografen, Floristen, DJs, Musiker – und natürlich die Gäste.

Für Julia Ascher und Stefan Pscherer war das kein Problem. Sie haben schon fast alles umgeplant: „Wir hatten großes Glück“, berichtet der Bräutigam. „Das Hotel, die Band und der Pfarrer hatten alle Zeit.“ Nur die Kirchensängerin konnte bei dem neuen Termin im Juni 2021 nicht. „Aber da haben wir auch Ersatz gefunden.“

Alle Gäste haben die beiden schon über das neue Hochzeitsdatum informiert – und die meisten haben gleich zugesagt. „Die komplette Gästeliste ist voll. Vielleicht wird die Party nächstes Jahr umso besser“, hofft Stefan Pscherer. Auch Julia Ascher ist wieder optimistischer: „Langsam steigt die Freude wieder“, sagt sie. „Aber wir bangen immer noch. Die Ungewissheit bleibt.“ Das Brautkleid hängt inzwischen bei ihren Eltern, die Eheringe sind noch immer ohne Gravur. „Damit warten wir lieber noch“, sagt die Braut.

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