Längere Weihnachtsferien? Nein, danke!

von Redaktion

VON MARC BEYER UND WOLFGANG HAUSKRECHT

München – Für Walter Baier war es ein unruhiger Dienstag. Erst erfuhr der Direktor des Gymnasiums in Bruckmühl, dass wegen der vielen Corona-Infektionen ab heute an den weiterführenden Schulen im Kreis Rosenheim wieder eine Maskenpflicht gilt. Und dann sorgte ein zweites Thema für Wirbel. Der Münchner CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger hat vorgeschlagen, die Schulen nach den Weihnachtsferien nicht am 11. Januar zu öffnen, sondern zwei, womöglich drei Wochen später. „Das war heute das große Thema im Lehrerzimmer“, erzählt Baier. Und: „Jeder Lehrer hatte sofort einen Grund, warum das gar nicht funktionieren kann.“

Söder reagiert mit einem kurzen „Nee“

Pilsinger argumentiert mit den steigenden Corona-Zahlen, aber auch mit der besonderen Jahreszeit: „Familienfeiern zu Weihnachten und an Silvester werden die Infektionszahlen treiben. Lässt man die Kinder dann frisch infiziert in die Schulen, werden die nicht lange aufbleiben.“ Er glaubt, dass sich die Zahlen erst Ende Januar wieder bessern werden. Die verlorene Unterrichtszeit könnte man wieder reinholen. Eine Woche durch die Kürzung der Pfingstferien, ein bis zwei weitere im Sommer.

Pilsinger, 33, ist Hausarzt. „Im Sommer war fast nichts los, jetzt schnellen die Zahlen wieder hoch“, berichtet er aus seinem Praxisalltag. Er rechnet in den kommenden Monaten in Deutschland mit bis zu 20 000 Neufällen täglich. Auch die Situation an den Schulen kennt er. Seine Freundin ist Grundschullehrerin. Das Schlimmste, sagt er, „wäre doch, wenn im Winter die Schule ausfällt, im Sommer die Ferien aber nicht gekürzt werden. Dann hätten wir zwei lange Betreuungszeiten.“

Auf viel Gegenliebe stößt Pilsinger nicht. Die langen Monate im Frühjahr, als viele Schulen erst schlossen und sich dann im Fernunterricht versuchten, haben Lehrer und Eltern noch in zu unguter Erinnerung. Mütter und Väter mussten daheim bleiben, den Nachwuchs bei Laune halten und ihm bestenfalls noch etwas beibringen.

Auch der Münchner Grünen-Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek, Vater von drei Kindern, stieß damals an seine Grenzen. Die Offensive von Pilsinger und Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß (35) nennt er einen „realitätsfernen Vorschlag, der nur von Menschen gemacht werden kann, die keine Kinder haben“. In den Schulen gebe es relativ wenige Fälle. „Man sollte die Kirche im Dorf lassen.“ Als Beispiel nennt er Wien, wo der Inzidenzwert bei über 150 liegt, dreimal so hoch wie in München. „Die Schulen sind trotzdem offen.“ Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) sagt: „Wir müssen Schulen und Kitas so lange wie möglich offen halten.“

Gegenwind bekommt Pilsinger auch von der eigenen Parteispitze. Ministerpräsident Markus Söder reagierte gestern knapp, aber unmissverständlich: „Nee.“ Momentan gehe es darum, „wie wir Unterricht gestalten können“. Schule sei schon anstrengend genug – da sei jetzt nicht die Zeit, mit „zusätzlichen Dingen“ für Verunsicherung zu sorgen. Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) verwies auf den Hygieneplan für Bayerns Schulen. „Wir sollten Schüler, Eltern und Lehrkräfte nicht mit Diskussionen über Schulferientermine verunsichern.“

Die Verunsicherung ist in allen Reaktionen greifbar. Die Nerven bei Eltern und Lehrern sind offenbar überreizt, wenn es um das Thema Schulschließung geht. „Nach den vielen Unsicherheiten im Frühjahr und im Sommer wollen sich Eltern jetzt auf die Ferienordnung und die geschaffenen Hygieneszenarien verlassen können“, betont Martin Löwe, Vorsitzender des Bayerischen Elternverbands. In einer „pauschalen Verlängerung der Winterferien“ erkenne er keinen Sinn. Das Lüften der Klassenzimmer sei im Winter viel einfacher als im Sommer, weil sich kalte und warme Luft schneller austausche.

Lehrerverband fordert Ehrlichkeit von Politik

Bayerns Philologenverband und der Bayerische Lehrerverband (BLLV) warnen vor einem Schul-Lockdown durch die Hintertür. „Auf die Eltern und die Wirtschaft käme ein enormer organisatorischer Aufwand zu, verbunden mit Arbeitsausfällen, zusätzlichem Urlaub und Betreuungsschwierigkeiten“, sagt Michael Schwägerl, Chef des Philologenverbands.

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann fordert von der Politik „Ehrlichkeit und kein Rumgeeiere“. Wenn ein Schulbetrieb wegen der Infektionszahlen nicht möglich sei, solle man das „offen sagen und nicht über eine Verlängerung der Schulferien verschleiern“. Schon jetzt seien die Schulen am Anschlag. „Unser Kultusminister ist nicht in der Lage, zuzugeben, dass wir Notbetrieb haben aufgrund von Hygienemaßnahmen und Lehrermangel.“ Abstand, so Fleischmann, wäre die beste Prävention. Nur 15 Kinder in eine Klasse zu setzen, sei aber nicht möglich. „Dazu bräuchte man die doppelte Zahl an Lehrern.“

Schuldirektor: Vorstoß völlig undurchdacht

Walter Baier, der auch Vorsitzender der Direktorenvereinigung der bayerischen Gymnasien ist, findet den Vorstoß „undurchdacht“. Das gesamte Schuljahr käme durcheinander. Zudem ende der Winter nicht im Januar. „Die Erkältungswellen kommen im Februar und März. Was dann? Jetzt ein Schulsystem auf Biegen und Brechen auf den Kopf zu stellen, würde Kinder und Eltern extrem verunsichern.“

Baier ist Verfechter von Präsenzunterricht – mit oder ohne Maske. „Wenn einzelne Klassen wochenweise zu Hause bleiben müssen, ist das nicht das Schlimmste. Das Schlimmste wäre kompletter Distanzunterricht, oder auch das Wechselmodell eine Woche Schule, eine Woche Distanzunterricht. Diese Doppelbelastung können die Lehrer auf Dauer nicht schultern.“ Dass es im Winter wegen des Lüftens mal kälter wird im Zimmer, sei halb so schlimm. Die Kinder müssten sich eben etwas wärmer anziehen. „Vielleicht kommt ja die lange Unterhose wieder in Mode.“

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