US-Wahl: Der harte Kampf um Pennsylvania

von Redaktion

VON CAN MEREY

Stroudsburg – Bob Yarnall merkt man den Soldaten noch immer an. Vor neun Jahren ist er aus dem Korps der Marineinfanteristen ausgeschieden. Der 52-Jährige hat die Haare an den Seiten kurz geschoren, darunter scheint eine Narbe durch. Auf Yarnalls Polo-Shirt prangt das Emblem des Korps aus Adler, Globus und Anker, auf seiner Maske dessen Motto: „Semper fi“, Semper Fidelis, immer treu. 25 Jahre lang war Yarnall bei den Marines. Er ist weiß und männlich, Veteran und bekennender Republikaner. Auf Amerikaner wie ihn baut US-Präsident Donald Trump bei der Wahl am 3. November. Der Ex-Unteroffizier aber verachtet Trump. Der Republikaner wirbt ganz offen für Joe Biden – den Kandidaten der Demokraten.

Für den 74-jährigen Trump ist das besonders misslich, weil Yarnall aus dem Bezirk Monroe im Bundesstaat Pennsylvania stammt, wo jede Stimme zählen könnte. Pennsylvania ist einer der sogenannten Battleground oder Swing States, bei denen weder Trumps Republikaner noch die Demokraten des drei Jahre älteren Herausforderers Joe Biden auf eine klare Mehrheit zählen können. In diesen Bundesstaaten wird die Wahl entschieden. Vor vier Jahren gewann Trump gegen Hillary Clinton in Pennsylvania mit einem Vorsprung von nur 44 292 der gut 6,1 Millionen Stimmen.

Noch knapper fiel das Ergebnis in Yarnalls Wahlbezirk Monroe aus: Hier lag Clinton vorne – mit 532 oder 0,76 Prozent der 69 752 Stimmen. Es war nicht das erste Mal, dass es in Monroe eng wurde: 2004 gewann der Republikaner George W. Bush mit einem Vorsprung von sogar nur vier Stimmen.

In Pennsylvania sehen Umfragen Trump derzeit zwar hinten, vor vier Jahren galt das aber auch. Trump sagte jüngst bei einem Wahlkampfauftritt: „Wir haben Pennsylvania letztes Mal gewonnen, und dieses Mal werden wir mit einem viel größeren Vorsprung gewinnen.“

Im Wahlkampfbüro der Demokraten in Monroes überschaubarer Hauptstadt Stroudsburg arbeiten sie daran, dass Biden und seine Vizekandidatin Kamala Harris Trump ausbremsen. Hier gibt es allerlei Wahlkampfaccessoires, darunter die beliebten Schilder für den Vorgarten.

Ein Mann kommt ohne Coronamaske durch die Tür. Er fragt nach einem Biden/Harris-Schild. Wahlkampfhelferin Linda Schwartz (73) bittet ihn freundlich, eine der ausliegenden Masken aufzusetzen. „Wenn ich diesen Scheiß durchmachen muss, verzichte ich“, bricht es aus dem Mann heraus. Das Schild sei ohnehin nicht für ihn, sondern für seine Tochter. In Trumps „Siegesbüro“ in Stroudsburg hätte er diese Diskussion nicht führen müssen: Dort tragen sie keine Masken, auch wenn der Präsident sich mitten im Wahlkampf mit dem Coronavirus infiziert hat.

Neben Schwartz hält Mark Dodel im Büro der Demokraten die Stellung. Seine Tochter studiert Medizin in Mannheim. Er hofft, dass sie den Deutschen bald nicht mehr erklären muss, warum Trump im Weißen Haus sitzt. Der 64-jährige Rentner ist im Vorstand der Demokraten in Pennsylvania. Er sagt, im Bezirk Monroe sei viel Enthusiasmus für Biden zu spüren. „Ich habe viele Wahlen mitgemacht. Und ich habe noch nie ein so großes Interesse gesehen.“ Gerade erst hätten die Demokraten in Stroudsburg sogar Schilder mit der Aufschrift „Republikaner für Biden/Harris“ und „Veteranen für Biden/Harris“ angeschafft – weil es Nachfrage danach gebe.

Ex-Marine Yarnall, der inzwischen Staatsbürgerkunde an einer Schule unterrichtet, lädt gleich mehrere dieser Schilder in seinen Kofferraum. „Das ist wirklich die wichtigste Wahl meines Lebens“, sagt er. „Die Demokratie steht auf dem Spiel, wenn Sie mich fragen.“ Trump trete die Verfassung mit Füßen. „Jeder andere Präsident wäre für das, was er getan hat, aus dem Amt geworfen worden.“ Bei Trumps Vorgänger Barack Obama sei schon ein Auftritt mit einem hellen Anzug, der als zu leger kritisiert wurde, zum Skandal aufgebauscht worden. Trump ließen seine Anhänger jedes noch so abscheuliche Verhalten durchgehen. „Dieser Idiot läuft herum und sagt, ich kann Frauen an die Muschi fassen, und das ist okay.“

Yarnall sagt: „Dieses Land braucht einen Anführer, jemanden, der vereint statt spaltet.“ Als Republikaner, der Trump kritisiert, sei er von dessen Anhängern schon „auf alle möglichen Weisen beschimpft worden“. Früher habe man zivilisiert über politische Ansichten diskutieren können. „Jetzt ist es persönlich.“ Der Streit über Trump ziehe sich quer durch Familien, lasse Freundschaften zerbrechen. „Ich sehe das so: Ich habe Freunde nicht über Politik verloren. Ich habe Freunde über Charakter und Moral verloren. Wenn du jemanden mit diesem Charakter und dieser Moral unterstützt, dann bist du nicht jemand, den ich um mich haben möchte.“

Trump hat in Pennsylvania weiter viel Zuspruch, besonders auf dem Land. 2016 konnten die Demokraten vor allem in den Regionen um die drei größten Städte Philadelphia, Pittsburgh und Allentown punkten, dort sind die Bezirke auf der Karte mit den Ergebnissen von 2016 in der Farbe der Demokraten blau eingefärbt. Fast überall sonst: ein roter Teppich. In den Vorgärten der Häuser an den Landstraßen herrscht ein dramatisches Übergewicht an Trump/Pence-Schildern.

Welches Gewicht Trump Pennsylvania beimisst, lässt sich an seinen Wahlkampfauftritten ablesen. Nach seiner Covid-19-Erkrankung führt ihn bereits seine zweite Wahlkampfreise wieder in den Swing State. „2016 hat Pennsylvania dafür gestimmt, das erfolglose und verbrauchte politische Establishment zu feuern, und Ihr habt einen Außenseiter zum Präsidenten gewählt, um Amerika endlich an die erste Stelle zu setzen“, sagt er vor jubelnden Anhängern in Johnstown. „In 21 Tagen werden wir den Staat Pennsylvania gewinnen, und wir werden weitere vier Jahre im Weißen Haus gewinnen.“

Kurz vor seiner Coronavirus-Diagnose sagte Trump bei einem Auftritt in Pennsylvanias Hauptstadt Harrisburg über die Demokraten: „Ehrlich gesagt können sie Pennsylvania nur gewinnen, wenn sie bei den Stimmzetteln betrügen.“ Seine unbelegte These: Briefwahl führt zu Wahlbetrug. Bis zu seiner Partei in Pennsylvania scheint sich das nicht herumgesprochen zu haben. Dort werben sie damit, dass Briefwahl „sicher“ und „klug“ sei. Yarnall dreht Trumps Argumentation ins Gegenteil um: Biden werde Pennsylvania gewinnen, sollte Trump keine schmutzigen Tricks in petto haben. Die Demokraten befürchten etwa, dass Trump sich in der Wahlnacht zum Sieger erklären könnte, bevor die Briefwahlstimmen ausgezählt sind.

Yarnall führt mehrere Gründe dafür an, warum er glaubt, dass Biden Clintons Schicksal von vor vier Jahren nicht teilen wird. Biden, der selbst aus Scranton in Pennsylvania stammt, sei in dem Bundesstaat viel beliebter als es Clinton je war. Yarnall glaubt auch, dass viel mehr Frauen als 2016 zur Wahl gehen und für Biden/Harris stimmen würden. Trumps angebliche Aussage, amerikanische Gefallene seien „Verlierer“, habe ihn bei den vielen Militärfamilien Rückhalt gekostet (Trump dementiert, dass er das je gesagt habe). Nicht zuletzt sagt der Ex-Marine: „Ich habe jede Menge republikanische Freunde, von denen ich weiß, dass sie nicht Trump wählen werden.“

Wahlkampfhelfer Dodel baut darauf, dass am 3. November Angehörige von Minderheiten in der Millionenmetropole Pittsburgh massenhaft an die Wahlurnen strömen und für Biden stimmen werden. Biden genießt unter Schwarzen viel Zuspruch. Dennoch bremst Dodel seine Zuversicht, schließlich erinnert er sich noch gut an den Moment, als er am 8. November 2016 erfuhr, dass Trump überraschend Pennsylvania gewonnen hatte. „Ich war sehr deprimiert.“ Vor dieser Wahl sei er zwar optimistisch und er hoffe, dass die Umfragen dieses Mal richtig lägen. Dodel sagt aber auch: „Sicher bin ich mir über gar nichts.“

Artikel 2 von 2