Drosten warnt vor Strategie der Herdenimmunität

von Redaktion

Der Berliner Virologe und Kollegen halten den Vorstoß von Forschern aus den USA und Großbritannien für gefährlich

München – Der Berliner Virologe Christian Drosten und andere Kollegen stellen sich gegen die Strategie der Herdenimmunität. „Mit Sorge nehmen wir zur Kenntnis, dass erneut die Stimmen erstarken, die als Strategie der Pandemiebekämpfung auf die natürliche Durchseuchung großer Bevölkerungsteile mit dem Ziel der Herdenimmunität setzen“, heißt es in einer Stellungnahme der Gesellschaft für Virologie (GfV) in Erlangen, an der auch Drosten beteiligt war. Herdenimmunität bedeutet, dass ein großer Teil der Bevölkerung nach einer Infektion oder Impfung immun geworden ist gegen das Virus.

Die Virologen beziehen sich auf die sogenannte Great-Barrington-Erklärung, die drei Forscher aus den USA und Großbritannien verfasst haben. Laut einer eigenen Webseite haben bereits viele hunderttausend Menschen die Erklärung unterzeichnet. In der heißt es unter anderem: „Der einfühlsamste Ansatz, bei dem Risiko und Nutzen des Erreichens einer Herdenimmunität gegeneinander abgewogen werden, besteht darin, denjenigen, die ein minimales Sterberisiko haben, ein normales Leben zu ermöglichen, damit sie durch natürliche Infektion eine Immunität gegen das Virus aufbauen können, während diejenigen, die am stärksten gefährdet sind, besser geschützt werden.“ Die Verfasser befürchten, dass die harten Maßnahmen „irreparablen Schaden verursachen, wobei die Unterprivilegierten unverhältnismäßig stark betroffen sind“.

Eine unkontrollierte Durchseuchung würde zu eskalierenden Todeszahlen führen, schreibt hingegen die Gesellschaft für Virologie in Heidelberg. Selbst bei strenger Isolierung Älterer gebe es andere Risikogruppen, die man nicht abschirmen könne. Als Risikofaktoren werden unter anderem Übergewicht, Diabetes, Krebs, Nieren-Insuffizienz und Schwangerschaft genannt. Für eine Herdenimmunität müssten Experten zufolge etwa 60 Prozent der Menschen immun sein. Laut GfV weiß man aber noch nicht zuverlässig, wie lange eine Immunität anhält. Das Anstreben der Herdenimmunität ohne Impfung sei unethisch und hochriskant.

Briten wollen Freiwillige infizieren

Britische Forscher wollen unterdessen erstmals Freiwillige gezielt mit dem Virus anstecken. Wie Wissenschaftler des Londoner Imperial College und anderer Einrichtungen mitteilten, soll die Studie zeigen, wie hoch die Viruslast sein muss, damit Menschen an Covid-19 erkranken. Die Studie solle dazu beitragen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, seine Folgen zu lindern und Todesfälle zu reduzieren.

Die Wissenschaftler wollen Freiwillige von 18 bis 30 ohne Vorerkrankungen infizieren, um „die kleinste Virusmenge festzustellen, die nötig ist, damit eine Person Covid-19 entwickelt“. Zudem soll die Immun-Antwort der Probanden genau beobachtet werden. „Der große Vorteil dieser Studien ist, dass wir jeden Freiwilligen nicht nur während der Infektion, sondern auch vorher sehr sorgfältig untersuchen und genau herausfinden können, was in jedem Stadium passiert“, erläutert Peter Openshaw, Professor für experimentelle Medizin am Imperial College.

Die Studie, an der auch die britische Regierung beteiligt ist, soll Anfang 2021 starten. Ihre Ergebnisse sollen bei der Entwicklung von Impfstoffen und Therapien helfen. dpa/afp

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