München – An diesem Tag lohnt es sich, Hubert Aiwanger genau zuzuhören. Er sendet Zwischentöne. Wortreich stellt sich der Vize-Ministerpräsident hinter den drastischen Lockdown fürs ganze Land, hoffentlich werde das die Leute wachrütteln. Aber beiläufig sagt er auch: „Natürlich ist die Debatte berechtigt, ist es richtig Restaurants zu schließen?“ Wo sich womöglich doch in Schulen oder Zügen mehr Menschen ansteckten. „Mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss“ sei dieser Lockdown. An der Kritik sei „ein Körnchen Wahrheit dran“.
Für Aiwanger ist der Auftritt am Donnerstagmittag an der Seite des Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) ein Spagat. Der Freie-Wähler-Chef war nie ein Freund drastischer Maßnahmen, er hatte ja sogar bestritten, dass es je eine zweite Corona-Welle geben werde. Als Wirtschaftsminister wird er zudem den Zorn von Wirten, Hoteliers, Unternehmern abbekommen. Der Versuch der Dialektik – total dafür, aber auch ein bisschen skeptisch – soll ihn absichern.
Tatsache ist nun: Die Freien Wähler tragen die von Söder in Berlin verhandelten Maßnahmen zu 100 Prozent mit. Sie werden auch heute im Landtag dafür stimmen. „Wenn sich 16 Ministerpräsidenten aus höchst unterschiedlichen Koalitionen einigen können, dann ist das eine große Leistung und ein wichtiges Signal – da dürfen wir nicht entgegenstehen“, sagt Fraktionschef Florian Streibl, zumal man ja immer ein Ende des Regelungswirrwarrs der Bundesländer gefordert habe. Wobei Streibl durchaus eine wachsende Ungeduld bei den Menschen feststellt, die sich durch den Lockdown noch verschärfen dürfte. „Das ist für viele ein Schock, den sie erst einmal verdauen müssen.“
Für Söder hätte der von Zeit zu Zeit aufmüpfige kleine Koalitionspartner sehr unangenehm werden können. Tenor: In Berlin große Töne spucken, in München an Aiwanger scheitern. Nun gibt’s Klarheit: Bayern setzt jede Maßnahme aus dem Katalog 1:1 zum 2. November um. Es werden also für den Rest des Novembers alle Veranstaltungen verboten, Gastro-Betriebe und Freizeiteinrichtungen von Zoos über Bäder bis Kinos geschlossen, die Kultur auf Null gefahren. Schulen, Kitas und Einzelhandel bleiben offen. In einem Punkt verschärft Söder das Konzept sogar: Die Kontaktlimits – maximal zehn Personen aus maximal zwei Haushalten – gelten auch in Privaträumen. Gleichzeitig bleibt die bayerische „Ampel“-Regelung zur Maskenpflicht.
„Alle müssen aufwachen“, verlangt Söder. „Die Lage scheint außer Kontrolle zu geraten.“ Er deutet noch drastischere Maßnahmen an, eine Verlängerung im Dezember etwa. Zu den Kontaktlimits sagt er, das sei „keine Ausgangsbeschränkung – jetzt im Moment“. In Österreich wird schon intensiv über eine nächtliche Ausgangssperre nachgedacht.
Heute im Landtag könnte sich Söder – jenseits der AfD – über eine satte Mehrheit freuen. Formal darf das Parlament über Verordnungen nicht entscheiden; mit Dringlichkeitsanträgen will man aber symbolisch den Abgeordneten das Votum überlassen. Grüne und SPD werden den Kurs der Staatsregierung wohl mittragen – „notgedrungen“, wie die Grünen-Vorsitzende Eva Lettenbauer erklärt. Sie kritisiert: „Die Staatsregierung hat es versäumt, diese zweite Phase der Pandemie vorzubereiten.“
SPD-Fraktionschef Horst Arnold ist eine transparente Evaluation der Maßnahmen in zwei Wochen wichtig. „Wir haben Bauchschmerzen bei der Schließung von Gaststätten, Hotels und Freizeiteinrichtungen.“
Selbst die so kritische FDP schließt eine Zustimmung nicht aus. Man werde die Texte der Anträge genau lesen, sagt Fraktionschef Martin Hagen. Die Liberalen stecken in der Zwickmühle: Schließlich sind alle Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, mit im Boot. cd/mik