Wien – Der Münchner Kaufmann Peter Balzarek, 56, arbeitet vier Tage pro Woche in Wien. Sein Lieblings-Restaurant „Agrodolce“ ist 150 Meter vom Lokal entfernt, wo der Attentäter erschossen wurde. „Ich war am Abend bei meinem Stamm-Italiener, als eine Freundin panisch reinkam und rief: ,Draußen passiert etwas Schreckliches, ich höre Schüsse.‘ Ich wollte mit dem Radl hinfahren, um zu schauen, ob es einem Freund gut geht, der gleich im Nebenlokal zu Abend aß. Doch dann kam schon die Polizei und raste mit gefühlten 100 Sachen an uns vorbei. Wir durften nicht näher an den Tatort.“
Balzarek ist ins „Agrodolce“ zurück und hat sich mit den anderen Gästen unter den Tischen verschanzt. „Dort haben wir fünf Stunden ausgeharrt, bis nachts um eins. Die Vorhänge wurden zugezogen und die Musik abgeschaltet, um mitzubekommen, was auf der Straße vor sich geht. Über die Beiträge in den sozialen Medien dachten wir, es sei ein Einzeltäter. Und so war es wohl auch. Das Innenministerium teilte gestern mit, dass es noch keinen Hinweis auf einen zweiten Täter gibt. Das gehe aus den bisherigen Ermittlungen und der Auswertungen von vielen der rund 20 000 Videos hervor, die die Bürger der Polizei zur Verfügung gestellt hätten, sagte Innenminister Karl Nehammer.
Die gebürtige Münchnerin Stefanie Wilhelm, 53, lebt seit vielen Jahren in Wien. Die Künstlerin sagt: „Es war der letzte Abend vor dem Lockdown, und es war extrem warm. Die Stadt brummte.“ Sie war mit einem Freund im fünften Bezirk im Kino: „Nach dem Film checkten wir auf dem Handy die Meldungen und bekamen einen Schock. Man hat ja nicht das Gefühl, dass bei uns so etwas passieren könnte. Gerade der erste Bezirk, das Bermudadreieck, ist ein Draußen-Wohnzimmer“, sagt sie. Nach der Vorstellung ging sie nach Hause, und seitdem steht Wilhelm in Kontakt mit ihrem großen Freundeskreis: „Freunde waren in einem Lokal am Judenplatz“, erzählt sie. „Als die Schießereien bekannt wurden, schickte der Wirt alle Gäste sofort zwei bis drei Stunden in den Keller. Die Eltern eines Freundes waren im Konzert und wurden in den ersten Bezirk von der Polizei heimbegleitet. Ein befreundetes Pärchen hatte Angst, in den ersten Bezirk zurückzukehren, und übernachtete bei einer Freundin. Eine Freundin war im Burgtheater und musste dort vier Stunden bleiben. Der Blick auf den Ring wirkte auf sie wie im Krieg. Um zwei Uhr nachts war sie zu Hause.“
Gestern, am Tag nach den Schüssen, war es „totenstill“ auf den Straßen, sagt Wilhelm. „Viele Läden, die tagsüber geöffnet haben dürfen, haben ihr Geschäft gar nicht erst aufgemacht. Eine Freundin erzählte mir, dass in ihrem Bezirk Hubschrauber kreisen und Baustellen abgeriegelt werden – wohl, weil sich Verdächtige dort verstecken könnten.“ mb/do