„Wir haben es geschafft, Joe“

von Redaktion

VON WOLFGANG HAUSKRECHT

München/Wilmington – Als Joe Biden um kurz vor 11.30 Uhr von den großen US-Fernsehsendern zum Wahlsieger erklärt wird, gibt es in seiner Heimatstadt Wilmington im US-Bundesstaat Delaware kein Halten mehr. Hunderte Fans strömen sofort ins Freie. „Das war Zeit. Es ist eine späte Genugtuung“, jubelt Aaron Fisher. Der 31-Jährige hat sein Training im Fitnessstudio abgebrochen, um zum Kongresszentrum Chase Center zu fahren, wo am Abend Bidens Siegesfeier stattfinden wird. Überall in den USA, vor allem in den Metropolen, herrscht Partylaune. Vor dem Weißen Haus tanzen Menschen. Aber auch Trump-Fans zeigen sich – und wollen weiter für ihn kämpfen.

Es ist eine kuriose Siegesfeier auf dem Parkplatz des Chase Center. Aus offenen Autofenstern und von Autodächern schallt dem 77-jährigen Biden tosender Applaus entgegen. Wegen der Corona-Pandmie ist es eine Drive-in-Veranstaltung im Freien, nur 360 Fahrzeuge sind zugelassen. Die Menschen tragen Masken, winken mit US-Flaggen und blauen Leuchtstäben – der Farbe der Demokratischen Partei.

Biden stellt sich in Gentleman-Manier mal wieder als der „Ehemann von Jill“ vor, holt seine Frau auf die Bühne. Seinen Wahlsieg nennt er „klar“ und „überzeugend“. Und er präsentiert sich als einer, der das Land nach vier Jahren Trump wieder einen will. Er wolle die „Seele Amerikas wiederherstellen“, sagt Biden und ruft zu einem neuen politischen Miteinander auf. Es sei an der Zeit, das Land zu „heilen“, die „Ära der Verteufelung“ müsse enden. „Wir müssen aufhören, unsere Gegner wie Feinde zu behandeln. Sie sind keine Feinde. Sie sind Amerikaner.“ Es gebe keine demokratischen oder republikanischen Bundesstaaten, sondern nur die „Vereinigten Staaten“, betont Biden. An Trumps Wähler appelliert Biden: „Ich verstehe eure Enttäuschung. Ich habe selbst ein paar Mal verloren, aber lasst uns jetzt gegenseitig eine Chance geben.“

Joe Biden hat einen langen Weg hinter sich. 1970 geht der Anwalt in die Politik, wird 1972 mit nur 29 Jahren in den US-Senat gewählt. Wenige Wochen später, es ist kurz vor Weihnachten, schlägt das Schicksal zu. Seine erste Frau Neilia und seine Tochter Naomi sterben bei einem Autounfall. Die Söhne Beau und Hunter überleben schwer verletzt. Es ist der Moment, an dem Joe Biden überlegt, seine politische Karriere aufzugeben. Er entscheidet sich anders. Und wird jetzt der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Es wird eine schwere Präsidentschaft sein, denn Trump hinterlässt ein emotional aufgewühltes Land, eine Rassismus-Debatte, viele internationale Scherben – und die Corona-Pandemie. Am Samstag infizierten sich über 127 000 Amerikaner, so viele wie noch nie. Und es ist nicht so, dass Biden erdrutschartig das Weiße Haus eroberte. Es war knapp, sehr knapp.

„Die Wahlergebnisse zeigen auf jeder Ebene, dass das Land nach wie vor tief und bitter gespalten ist“, sagt auch Ex-Präsident Barack Obama, der Biden im Wahlkampf unterstützte. So wird auch auf Kamala Harris, die erste US-Vizepräsidentin, viel Arbeit zukommen. Die Senatorin mit jamaikanisch-indischen Wurzeln setzte am Samstag gleich ein Ausrufezeichen. Auf Twitter postete sie ein Video des Telefonats mit Biden. Harris trägt Sportbekleidung und Sonnenbrille. „Wir haben es geschafft. Wir haben es geschafft, Joe“, sagt sie glücklich. Das Video wurde schon nach wenigen Stunden mehr als 21 Millionen Mal angeschaut.

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