So ist die Lage auf Bayerns Intensivstationen

von Redaktion

Für schwer kranke Corona-Patienten gibt es noch ausreichend Intensivbetten – aber zu wenig Fachkräfte

VON ANDREAS BEEZ

München – Im Kampf gegen das Coronavirus brauchen Intensivmediziner einen langen Atem. Seit dem Frühjahr kämpfen weitestgehend dieselben Ärzte und Pfleger um das Leben schwer kranker Covid-19-Patienten. Überall fehlen Spezialisten – ausgerechnet in Deutschland, einer Hochburg der Hochleistungsmedizin, die der ersten Welle mit vergleichsweise wenigen Todesfällen getrotzt hat. Doch jetzt hat sich die Gefechtslage zusätzlich verschärft, nicht nur wegen der steigenden Infektionszahlen. Was ist wirklich los auf unseren Intensivstationen?

Die aktuelle Lage

In der Stadt München lagen am Freitag 307 Corona-Patienten in Kliniken, 77 davon auf Intensivstationen. Für Kritiker der Corona-Schutzmaßnahmen mag diese Fallzahl nicht furchteinflößend klingen. Doch sie stellt die Spezialisten bereits vor enorme Probleme. Viele müssen Extraschichten und zusätzliche Nachtdienste übernehmen, mitunter werden Urlaube gestrichen.

Der personelle Aufwand ist gewaltig – schon allein, weil die Mitarbeiter aus Infektionsschutzgründen entweder nur Corona-Fälle oder nur normale Intensivpatienten versorgen dürfen. Und das alles während der Herbst- und Wintermonate, in denen auf den Münchner Intensivstationen wegen klassischer Infektionskrankheiten wie der Grippe oder Stürzen öfter mal die Betten knapp werden.

Der entscheidende Hintergrund für den Personalengpass: Während im Frühjahr die Kliniken für Corona-Patienten regelrecht leer geräumt wurden, läuft ihre Behandlung während der zweiten Welle praktisch nebenbei mit. Geplante Krankenhaus-Aufenthalte und Operationen werden nicht mehr abgesagt – im Gegenteil: Manche Häuser sind noch dabei, die verschobenen Behandlungen aus dem Frühjahr nachzuholen. Darüber hinaus trauen sich, erfreulicherweise, wieder mehr Notfallpatienten in die Klinik, die im Frühjahr aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus zu Hause geblieben sind. „Die Betreuung der Corona-Patienten kommt also noch on top“, sagt Dr. Vanessa Rembold, die mit Dr. Michael Findeisen die Intensivstation in der München Klinik Harlaching leitet.

Die personelle Lage

Das große Problem: „Wir haben zwar die nötigen Maschinen, wir brauchen aber auch dringend mehr Menschen, die damit arbeiten können. Und die wachsen halt leider nicht auf Bäumen“, sagt Findeisen. Allein um einen beatmeten Patienten im Bett zu drehen, sind mindestens fünf Personen nötig. Sie müssen in schwerer Schutzausrüstung und mit Masken arbeiten – und das hochkonzentriert. Denn wenn bei dem Wendemanöver auch nur einer der vielen Schläuche oder Kabelstränge versehentlich gekappt würde, könnte dies fatale Konsequenzen haben.

Den Knochenjob auf der Intensivstation will nicht jeder machen. Zwar gibt die Politik vor, sie hätte das Problem erkannt und wolle den Pflegeberuf attraktiver machen. Doch es würde dauern, bis die neuen Spezialkräfte in den Kliniken ankommen. Zum anderen stellen Ärzte und Pfleger fest, dass sich die Rahmenbedingungen bislang kaum verbessert haben. „Fakt ist: Wenn man den Wert der Pflege durch diese Pandemie erkannt haben will und mehr Mitarbeiter dafür gewinnen möchte, muss sich bei den Rahmenbedingungen dieses Berufes erst mal etwas ändern“, sagt Vanessa Rembold. Kollege Michael Findeisen spricht es offen aus: „Es geht um mehr Geld, um bessere Arbeitsbedingungen und um eine höhere gesellschaftliche Wertschätzung.“

Die Strategie

„Wir kennen den Feind inzwischen besser als noch im Frühjahr“, sagt Rembold. Eine entscheidende Erkenntnis: Die Ärzte wissen heute, dass bei schweren Verläufen häufig nicht nur die Lunge, sondern alle Organe in Mitleidenschaft gezogen werden. „Vereinfacht erklärt ist die Lunge die Eintrittspforte für das Virus. Darin kann es sich einnisten und in den Zellen vermehren. Aber im ungünstigsten Fall entsteht als Reaktion auf das Virus ein extremer Entzündungsprozess im gesamten Körper, der Gefäßverschlüsse zur Folge haben kann. Diese Patienten bekommen zum Beispiel schwere Thrombosen, Lungenembolien oder Schlaganfälle“, berichtet Findeisen.

Deshalb erhalten die meisten Intensivpatienten vorsorglich den Blutgerinnungshemmer Heparin. Außerdem setzen die Ärzte viel konsequenter als im Frühjahr Dexamethason ein. Dieses stark entzündungshemmende kortisonhaltige Medikament wirkt 25-mal stärker als das körpereigene Kortisol.

Das mit großer Hoffnung und viel Spektakel zugelassene Remdesivir spielt bei schweren Fällen so gut wie keine Rolle. „Es hemmt die Virenvermehrung – und dafür ist es bei den meisten Intensivpatienten bereits zu spät“, erklärt Rembold. Umso wichtiger ist es, die Infektion früh zu erkennen. Das Tückische: Vielen Patienten geht es lange relativ gut, obwohl sie bereits eine Lungenentzündung haben. „Den Betroffenen fällt oft das Atmen nicht so schwer wie Patienten mit einer klassischen Lungenentzündung, die beispielsweise von Erregern wie Pneumokokken oder Influenzaviren hervorgerufen wird. Sie kommen später in Behandlung, weil sie denken: ,Es geht ja noch‘“, sagt Rembold. In sehr vielen Fällen verschlechtert sich der Zustand erst zehn bis vierzehn Tage nach den ersten Symptomen.

Nach wie vor müssen die meisten Schwerkranken künstlich beatmet werden. Allerdings warten die Spezialisten in der Regel etwas länger ab, bevor sie Intensivpatienten anschließen. Zuvor nutzen sie verstärkt die sogenannte Highflow-Sauerstoffgabe. Dabei wird den Patienten über eine große Nasenbrille hoch dosiert Sauerstoff verabreicht, um ihnen die Atmung zu erleichtern. Die Technik stand bereits im Frühjahr zur Verfügung, wurde aber nur zurückhaltend eingesetzt – unter anderem, weil durch das starke Ausatmen der Patienten eine erhöhte Ansteckungsgefahr für die Mitarbeiter der Intensivstationen befürchtet wurde.

Diese Sorge ist durch Studien abgemildert worden. „Inzwischen können wir dank Highflow-Sauerstoff in manchen Fällen auch ohne künstliche Beatmung helfen“, sagt Findeisen. Das hat Vorteile. Etwa dass dem Patienten eine Narkose erspart bleibt. Zudem geht das Beatmen mit einem erhöhten Infektionsrisiko für die Lunge mit anderen Keimen einher. Jedoch: „Man darf den Zeitpunkt, von Highflow-Sauerstoff auf Beatmung umzustellen, nicht verpassen. Denn die künstliche Beatmung ist in vielen Fällen nach wie vor lebensrettend“, betont Dr. Vanessa Rembold.

Die Prognose

Weil die Technik da ist, ist Deutschland, insbesondere der Freistaat Bayern, noch weit von einem Intensiv-Kollaps entfernt. Allerdings bereitet der Personalmangel zunehmend Kopfzerbrechen. „Natürlich könnten wir Kollegen aus anderen Fachabteilungen zu Hilfe holen“, sagt Oberarzt Findeisen. „Allerdings sind nicht alle Fachabteilungen gleich gut geeignet, hier auszuhelfen. Die Teams der Intensivstationen müssen sich daher um immer mehr Patienten kümmern. Das bedeutet: Mit steigenden Corona-Fallzahlen könnte die Qualität der Behandlung sinken.“ Und: Während der Pandemie müssen weiter Patienten mit Herzinfarkten oder Schlaganfällen versorgt werden – auch wenn aus diesen Bereichen Personal abgezogen würde. Deswegen sei das beste Rezept, die Infektionszahlen und damit die Patientenzahlen zu senken.

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