Berlin/Dresden – Der Einsatz ähnelt einer militärischen Operation. 1600 Polizisten aus acht Bundesländern, dazu schwer bewaffnete Spezialeinsatzkommandos (SEK), sogar die GSG-9 des Bundes. Polizeieinheiten fahren Umwege nach Berlin, um nicht zu sehr aufzufallen. In der Dunkelheit am Dienstagmorgen um 6 Uhr schlägt die Polizei in der Hauptstadt zu. Die SEKs stürmen zehn Wohnungen, viele im Stadtteil Neukölln. Ihr Ziel ist der Remmo-Clan – eine Großfamilie mit langem Strafregister. Drei Männer werden festgenommen, bei einem soll es sich um Wissam Remmo handeln, der erst im Februar wegen des Diebstahls der 100 Kilogramm schweren Goldmünze „Big Maple Leaf“ aus dem Berliner Bode-Museum zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden war.
Verdacht fällt schnell auf den Remmo-Clan
Der Einbruch in das Grüne Gewölbe ist spektakulär. Am frühen Morgen des 25. November 2019 dringen zwei Täter in das berühmte Schatzkammermuseum im Dresdner Residenzschloss ein. Sie durchtrennen ein Gitter und stemmen ein Fenster heraus. Im Juwelenzimmer schlagen sie mit einer Axt Löcher in eine Vitrine und raffen mehr als 20 barocke Schmuckstücke aus Diamanten und Brillanten zusammen. Der von einer Kamera gefilmte Coup dauert nur wenige Minuten. Ein angezündetes Fluchtauto wird später in einer Garage entdeckt. Mit einem als Taxi getarnten Mercedes sollen die Täter dann nach Berlin gefahren sein.
Die Kriminalpolizei in Sachsen bildet die 40-köpfige Sonderkommission „Epaulette“, benannt nach einem der wertvollsten Schmuckstücke, und setzt eine Belohnung von 500 000 Euro aus. Mehr als 700 Spuren werden gesichert, mehr als 1000 Hinweise gehen ein. Ermittelt wird auch gegen Wachmänner des Museums.
Dass der Remmo-Clan die Finger im Spiel haben könnte, dieser Verdacht kommt schnell auf. Denn die Paralellen zum Einbruch ins Bode-Museum (siehe Text unten) sind unübersehbar. Aber das Puzzle setzt sich erst allmählich zusammen: Aufnahmen der Überwachungskameras des Museums, Spuren am Tatort, die laut Polizei den Beschuldigten zugeordnet werden können, sowie der Fund des zweiten Fluchtautos. Bereits Anfang September gibt es Durchsuchungen: in einem Internet-Café in Neukölln, wo die Täter auf fiktive Namen registrierte SIM-Karten bekommen haben sollen. Und in Autowerkstätten, wo das Fluchtauto mit Folien beklebt worden sein soll.
Nun also stehen fünf junge Männer des Remmo-Clans im Visier der Fahnder. Drei werden am frühen Dienstagmorgen verhaftet. Zwei sind 23, einer 26 Jahre alt. Nach den Zwillingen Mohamed und Abdul Majed Remmo (21) wird gefahndet.
Die Großfamilie Remmo ist einer der bekanntesten Clans der Hauptstadt. Die Familie ist arabischstämmig, lebte im kurdischen Gebiet im Osten der Türkei und kam in den 80er-Jahren über den Libanon und Ost-Berlin nach West-Berlin. Der Clan ist weit verzweigt, hat etwa 500 Mitglieder. Eine Kernfamilie ist die in Berlin. Oberhaupt ist Issa Remmo. Fahnder sprechen von einer „Einbrecherfamilie“, aber das Strafregister hat mehr zu bieten: Körperverletzung, Schutzgelderpressung, Raub, Drogengeschäfte Hehlerei, illegaler Waffenbesitz.
Einer der Söhne von Issa Remmo stand 2019 wegen Totschlags vor Gericht; ein Mann war mit einem Baseballschläger totgeprügelt worden. Freispruch, weil die Beweise nicht reichten. Issas Bruder Toufic räumte 2014 mit Komplizen in einer Berliner Sparkasse die Schließfächer leer. Die Täter setzten danach die Filiale in Brand. Beute: rund 10 Millionen Euro. Von den acht Jahren Haft saß er nur vier Jahre ab – was der Berliner Justiz heftige Kritik einbrachte. Im Juli 2018 beschlagnahmte die Berliner Staatsanwaltschaft in einer spektakulären Aktion 77 Immobilien von Clanmitgliedern im Wert von neun Millionen Euro. Über die Immobilien soll Geld aus Straftaten gewaschen worden sein.
Weiter keine Spur von den Schmuckstücken
Der nun verhaftete Wissam Remmo, 23, ist ebenfalls umtriebig. Nur zwei Tage nach dem Einbruch ins Grüne Gewölbe saß er im fränkischen Erlangen vor Gericht. Wegen des Einbruchs bei einem Hersteller für Hydraulikspreizer wurde er zu zweieinhalb Jahren verurteilt. In Haft kam er nicht. Im Februar 2020 folgte die Verurteilung wegen des Diebstahls der Goldmünze. Im September wurde das Urteil rechtskräftig. In Haft kam er wieder nicht (Artikel unten). Nun also wartet der nächste Prozess. Womöglich diente der Einbruch in Erlangen dazu, Tatwerkzeug für das Grüne Gewölbe zu beschaffen.
Von den historischen Schmuckstücken fehlt weiter jede Spur. „Da müsste man schon sehr viel Glück haben, wenn man die ein Jahr nach der Tat noch finden würde“, sagt Thomas Geithner, Sprecher der Dresdner Polizei. Ob die Schmuckstücke zerlegt und die Diamanten umgeschliffen wurden, ist unklar.