Die Alge, die die Welt retten soll

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – In einem Labor im weit verzweigten Trakt des Unigebäudes steht der Schüttler, ein Gerät mit dem knisternden Charme eines Industrietrockners – aber es trägt Wertvolles in sich. Thomas Brück öffnet die Glastür und zieht eine Schublade heraus. Phiolen klirren, in jeder einzelnen schwappt eine grüne Brühe umher. „Die helle da“, sagt Brück, „das ist Nannochloropsis.“ Ein Name wie der einer Pharaonin. Dabei ist Nannochloropsis nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft.

Brück ist Biochemiker und forscht an der TU in Garching bei München. Sein Spezialgebiet sind Algen und wenn man ihn fragt, warum, sagt er: „Weil es für jedes Problem eine Alge gibt.“ Der Satz ist ernst gemeint. Brück glaubt, dass Nannochloropsis sogar zur Lösung des wohl größten Problems unserer Zeit beitragen kann – der Klimakrise.

Der Grund ist einfach: Algen sind besonders hungrige CO2-Fresser. Wenn die Bedingungen stimmen, betreiben sie vier Mal mehr Fotosynthese als Land-Pflanzen. Sie ziehen also besonders viel des klimaschädlichen Gases aus der Luft und verarbeiten es zu Biomasse, im Fall von Nannochloropsis vor allem zu Öl. Brück und sein Team haben es geschafft, aus dem Algen-Öl Carbonfasern herzustellen, aus denen man zum Beispiel Auto-Karosserien bauen kann. Am Ende steht eine „Win-win-Situation“: Das CO2 ist dauerhaft raus aus der Luft – und hat eine Anschlussverwendung.

Kann die Weltrettung so einfach sein? Brück lehnt sich in seinen Drehstuhl, vor ihm flackert ein Computer-Bildschirm, der für das kleine, aber helle Büro etwas zu groß wirkt. Ohne Technologie, da ist er sich sicher, wird die Erderwärmung jedenfalls nicht zu stoppen sein. „Wir sind zu spät dran.“ Um noch eine Chance zu haben, müsse der Mensch eingreifen.

Es klingt wie der Auftakt eines Science-Fiction-Romans, aber es ist viel mehr. Seit Jahren arbeiten Forscher an Methoden, CO2 aus der Luft zu ziehen. Der Fachbegriff heißt „Carbon Dioxide Removal“ (CDR) – es ist eine Spielart des „Climate Engineerings“, des Herumdokterns am Klima.

Die Algen sind ein Ansatz unter vielen. Ein sanfter Weg wäre Aufforstung in großem Stil. Theoretisch ist das Potenzial groß, für viele Bäume ist aber auch viel Platz nötig. Und wenn so ein Baum erst ausgewachsen ist, bindet er kein zusätzliches CO2 mehr, blockiert aber den Platz.

Andere Methoden gehen deutlich weiter. Es ist zum Beispiel möglich, CO2 mit speziellen Filteranlagen aus der Luft zu ziehen und es dann unter der Erde zu speichern oder in der Industrie zu verwenden. Einige Anlagen werden schon betrieben, etwa in den USA und der Schweiz. Die Methode ist aber noch zu teuer und aufwendig. Auch das Ausbringen von Gesteinsmehl im Meer oder auf Äckern wird erforscht. Geraspelter Fels bindet Kohlendioxid und könnte nebenbei die Böden fruchtbarer machen.

Das Alfred-Wegener-Institut versuchte sich schon 2009 an einem irrwitzigen Experiment. Mit einem Forschungsschiff brachten Wissenschaftler auf einer 300 Quadratkilometer großen Fläche im Atlantik Eisensulfat aus, um so das Algenwachstum zu stimulieren. Man sprach von Ozeandüngung, die Algen sollten wachsen, möglichst viel CO2 fressen und es, nach dem Absterben, mit auf den Ozeanboden nehmen. In der Theorie.

Tatsächlich führte das Algenwachstum aber dazu, dass sich auch Kleinstkrebse munter vermehrten, die die Pflanzen auffraßen – und das CO2 wieder ausatmeten. Bei ähnlichen Versuchen trieben Algenteppiche wochenlang auf der Ozeanoberfläche und erstickten alles Leben darunter. Umweltschützer lehnen die Ozeandüngung deshalb ab.

Auch Brück schüttelt beim Gedanken daran den Kopf. Das Problem solcher Nebeneffekte hat er nicht. Statt im Ozean soll Nannochloropsis in flachen Becken wachsen, jedes einzelne so groß wie ein halbes Fußballfeld. Als Standorte denkt Brück an Küstenregionen wie Italien, Südfrankreich oder Griechenland, weil dort die Temperatur stimmt und Meereswasser en masse zur Verfügung steht. Das würde über Pipelines in die kaskadenartig angelegten Becken gepumpt. Ordentlich mit Eisen und Stickstoff gedüngt, könnten die Algen optimal gedeihen und möglichst viel CO2 aus der Luft saugen.

Testanlagen in Meeresnähe gibt es noch nicht, dafür aber auf dem ehemaligen Airbus-Gelände in Ottobrunn (Kreis München). Dort haben Brück und sein Team auch den Trick ausprobiert, mit dem sie aus den Algen das wertvolle Öl gewinnen: Indem sie ihnen Stickstoff entziehen, setzen sie die Pflanzen unter Stress und zwingen sie so, Fett einzulagern. Das Öl zu gewinnen, ist dann ein Kinderspiel. Aus ihm lassen sich unter anderem Biosprit oder Carbonfasern herstellen. „Wenn wir das Carbon mit Granit zusammenpacken, können wir sogar Beton ersetzen“, sagt Brück. Das wäre doppelt gut, weil die Herstellung von Beton viel Energie verbraucht.

Technisch ist vieles denkbar. Aber mit dem politischen Willen ist es so eine Sache. Es gibt Länder wie die Schweiz, deren Bundesrat die Entnahme von CO2 „unverzichtbar“ nennt, um die Erderwärmung noch zu bremsen. Die EU rechnet bei ihrem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, CO2-Entnahme fix ein. Auch der Weltklimarat IPCC, der Brücks Algen-Forschung in einem Sonderbericht erwähnt, ist offen für CDR-Methoden.

Aber es gibt auch Skeptiker. Sie sitzen unter anderem in Berlin. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen erklärte die Bundesregierung 2018, einige Technologien seien mit „grundlegenden Risiken“ behaftet, es bestehe noch großer Forschungsbedarf, weshalb man lieber auf die „Minderung von Treibhausgasemissionen“ setze.

Auch die Grünen warnen vor unabsehbaren Folgen, die ein menschlicher Eingriff ins komplexe Klimasystem haben könnte. Prinzipiell sei man „technologieoffen“, sagt die klimapolitische Sprecherin der Fraktion, Lisa Badum. Bisher sei ihr aber noch keine Methode untergekommen, die sich rechnen würde und risikofrei ist. „Es ist wichtig, dass wir nicht in natürliche Kreisläufe eingreifen und Prozesse anstoßen, die man nicht mehr zurückdrehen kann.“ Die Klimaziele, sagt die Oberfränkin, seien auch durch radikale CO2-Einsparungen zu erreichen. Aber dazu brauche es eine Abkehr vom ewigen Wirtschaftswachstum.

Zuversicht ist gut, aber sie schwindet. Manche Forscher meinen sogar, dass bald sehr radikale Lösungen nötig sein werden. Dann könnte eine zweite Form des „Climate Engineering“ ins Spiel kommen, das „Solar Radiation Management“ (SRM). Gemeint sind Methoden, um die Strahlung der Sonne ins All zurückzuschicken. Manche Forscher wollen dazu Wolken aufhellen, andere kleine Schwefelteilchen in die Atmosphäre pusten, wieder andere Wüsten mit reflektierendem Material auslegen, und die Wirkung der Polkappen zu imitieren. Auch die Idee, kleine Sonnenspiegel ins All zu schießen, wurde diskutiert.

Die Nachteile sind aber erschlagend. SRM-Methoden lösen das Kernproblem der hohen Treibhausgaskonzentration nicht und bergen Risiken für die Ozonschicht oder ganze Ökosysteme. Wenn sie kühlend wirken, dann nur punktuell dort, wo sie eingesetzt werden. Das macht sie auch zu einem Sicherheitsrisiko, wie die Bundeswehr in einem Gutachten festhielt. In den falschen Händen könnten sie zur Waffe werden.

Dann lieber die Algen aus Garching? Thomas Brück weiß, dass sie kein Allheilmittel sind, er hat das mal ausrechnen lassen: Um die weltweiten CO2-Emissionen zu schlucken, müsste die Fläche Brasiliens mit seinen Becken bedeckt werden – theoretisch möglich, in der Praxis schwierig. Um dem Klima wirklich zu helfen, brauche es einen Mix verschiedener Technologien – gepaart mit CO2-Einsparungen.

„Die gute Nachricht ist: Wir müssen nicht zurück auf die Bäume“, sagt Brück. Die technologischen Lösungen seien da. „Was wir brauchen, ist ein Anstoß von der Politik.“ Heißt vor allem: Geld. Bisher muss Brück sich die Fördermittel mühsam und teils im Ausland zusammensuchen. Es ist nicht so, dass er die politische Skepsis gegenüber „Climate Engineering“ nicht nachvollziehen könnte. Aber er sieht auch, dass die Klima-Uhr läuft. „Was ist unsere Alternative? Wir haben keine. Wir müssen CO2-negativ werden. Und wir müssen jetzt damit anfangen.“

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