Die Eidgenossen gehen ihren eigenen Weg in der Pandemie

von Redaktion

Trotz explodierender Infektionszahlen bleibt die Schweiz gelassen – Katalonien fährt öffentliches Leben wieder hoch

Genf/Barcelona – Die Corona-Lage in der Schweiz ist dramatisch. Pro 100 000 Einwohner gab es zuletzt innerhalb von sieben Tagen 351 Infektionen, in Deutschland nur 143. Seit Beginn der Pandemie sind pro 100 000 Einwohner 41 Menschen gestorben, in Deutschland 16. Das sind Spitzenwerte im europäischen Vergleich – aber Politik, Behörden und die Gesellschaft sind entspannt.

An vielen Orten sind Bars, Restaurants, Märkte, Einkaufszentren und Kinos offen, in Kasinos wird gezockt, in Fitnesscentern geschwitzt. Auch Bordelle sind geöffnet. Die Bundesregierung hob die Höchstzahl von 1000 Zuschauern bei Großveranstaltungen am 1. Oktober auf. Finanzminister Ueli Maurer vertritt die Ansicht, die Schweiz könne sich keinen zweiten Lockdown leisten. Im Videointerview auf der Webseite seiner Partei, der rechten SVP, sagte er jüngst, Wissenschaftler sähen nur die Gesundheit, aber man müsse auch Geld verdienen.

Eigentlich müssten die Kantone handeln. Denn der Krisenstab der Bundesregierung hat sich im Juni aufgelöst und die Verantwortung wieder den Kantonen übertragen. Im Oktober explodierten die Infektionszahlen – trotz Mahnungen der Wissenschaftler. Dutzende Ökonomen forderten in einem offenen Brief Anfang November einen zweiten Lockdown, gekoppelt mit Finanzhilfen, um weiteren Schaden durch die Pandemie abzuwenden.

Im Kanton Genf geriet die Lage fast außer Kontrolle, mit über 1000 Fällen pro 100 000 Einwohner. So schlimm war es nirgends sonst in Europa. Anfang November reagierte die Kantonsregierung mit einem Lockdown, schloss sämtliche Geschäfte. Mit dem Ergebnis, dass die Genfer sich teils noch mehr bewegen, etwa, um im Nachbarkanton Waadt zum Friseur zu gehen. Viel zu spät zogen auch andere Kantone die Zügel an. Erst diese Woche schließen auch in der Stadt Basel Restaurants, Bars, Cafés, Fitnesscenter, Kunsteisbahnen, Hallenbäder und Kasinos.

Das Bundesamt für Gesundheit bleibt entspannt. Chefin Anne Lévy glaubt an eine Trendwende bei den Infektionszahlen. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist von mehr als 450 auf zuletzt rund 350 Neuinfektionen gefallen. Auf 14 Tage berechnet liegt die Schweiz in Westeuropa damit aber mit an der Spitze, vor Italien, Großbritannien und Frankreich. Lévy aber sagt: „Wir stehen nicht wesentlich schlechter da als das europäische Ausland.“ Die „Neue Zürcher Zeitung“ begrüßt diese Strategie: „Kein Lockdown, keine Panik – der Bundesrat behält im Corona-Stress die Nerven. Das verdient Respekt“, schreibt sie in einem Kommentar. „Wenn der Großteil der Bevölkerung dieselbe Gelassenheit aufbringt wie der Bundesrat, dann kommt es gut.“

Barcelona macht auf

In Katalonien mit der Touristenmetropole Barcelona fährt derweil seit gestern nach fünfwöchiger Zwangsschließung das öffentliche Leben wieder hoch. Cafés, Restaurants, Kinos und Theater sowie andere Einrichtungen durften angesichts sinkender Infektionszahlen wieder öffnen. Allerdings bleiben die nächtliche Ausgangssperre sowie das Verbot bestehen, an Wochenenden die Heimatgemeinde zu verlassen. Gastronomiebetriebe müssen um 21.30 Uhr schließen, in Innenbereichen bleiben die Kapazitäten beschränkt. Auch die meisten Sportstätten durften wieder öffnen.

Die Zahl der Infektionen in Katalonien pro 100 000 Einwohner ist binnen sieben Tagen von 256 auf 150 gefallen. Das Sieben-Tage-R fiel auf 0,8. Das heißt, dass 10 Infizierte rechnerisch nur acht weitere Menschen anstecken, die Pandemie also abflaut.

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