Die geheimen Briefe der bayerischen Könige

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Wer Gerhard Immler nach dem bedeutendsten Wittelsbacher aller Zeiten fragt, der erlebt eine Enttäuschung – wenn er denn ein Fan des Kini ist. Denn für den Archivdirektor gibt es keinen Größeren als Kurfürst Maximilian I. „Er war wirklich eine bedeutende Persönlichkeit“, sagt Immler. Für den, der jetzt erst mal nachschauen muss: Der Kurfürst lebte im 17. Jahrhundert, war einer der Vermittler des Westfälischen Friedens, der den furchtbaren Dreißigjährigen Krieg beendete. Der Kongress dauerte Jahre, von 1643 bis 1648 – und meist war der Kurfürst mittendrin im Feilschen um den Friedensschluss. „Das war der Höhepunkt bayerischen Einflusses in der europäischen Diplomatie“, sagt Immler.

Der 59-Jährige ist ein freundlicher Staatsbeamter, verbindlich im Ton, akkurat in der Auskunft. Er könnte lange über den Kurfürsten schwärmen. Er hat ja über ihn promoviert und sitzt noch dazu an der Quelle. Im Geheimen Hausarchiv, das er verwaltet, ist alles, was die Wittelsbacher an schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen haben. Na ja, fast alles. Aber dazu später mehr.

Das Geheime Hausarchiv ist ein Unikat unter den Archiven. Der Inhalt gehört der Familie der einstigen Könige, die Hülle, das Gebäude in der Ludwigstraße 14, das Personal, alles drum herum, dem bayerischen Staat. Es war im Jahr 1799, als sich die Wittelsbacher dazu entschieden, all ihr Schriftgut in einem Archiv zentral zusammenzufassen. Der Zusatz „Geheim“ stammt von damals und war eigentlich eine Selbstverständlichkeit. „Damals war kein Archiv öffentlich zugänglich“, sagt Immler.

1923 ging das Archiv an den Wittelsbacher Ausgleichsfonds über, der es seither verwaltet. Im Keller und im Dachboden stapeln sich Kartons und Findbücher, Urkunden und private Briefe. Hausurkunden aus dem Spätmittelalter sind darunter, viele Dokumente, in denen es um Ländereien geht. Es gibt auch ausgesprochene Prunkstücke wie etwa eine Heiratsurkunde zur Landshuter Hochzeit von Georg dem Reichen mit Hedwig, der Tochter des polnischen Königs Kasimir IV. aus dem Jahr 1475. Oder den Ehevertrag zwischen Herzogin Elisabeth in Bayern („Sisi“) und Kaiser Franz Joseph von 1854.

Und natürlich gibt es auch viel zu Ludwig II., unserem Märchenkönig. Zum Beispiel die Kabinettsakten. Jeder König in Bayern hatte einen Kabinettssekretär – eine Art Verbindungsmann zwischen dem Monarchen und den Ministern. Es gab mehrere, die Ludwig erlebten und erlitten, der letzte (seit 1883), ein Alexander von Schneider, wäre den Posten nur allzu gern wieder losgeworden, wenn ihn Ludwig nur gelassen hätte. So musste er sich auch tief in der Nacht bereithalten, falls der König spontan einen Vortrag wünschte.

Ludwig zeichnete alles ab, das sind die sogenannten Signate, die in Signatenbüchern gesammelt sind. „Baupläne der Schlösser haben wir auch, das gehört zum Hofsekretariat“, sagt Immler. Dort war früher das Baubüro angesiedelt. Einiges liegt allerdings immer noch bei der Bayerischen Schlösserverwaltung, die manches historisch wertvolle Dokument zum Bedauern des Archivleiters bisher „nicht rausrückt“.

Nun denn: Der Nachlass enthält auch eine umfangreiche Korrespondenz mit Richard Wagner über Theater, er enthält Berichte der Minister über politische Angelegenheiten und natürlich viele private Briefe. Sieben Plätze gibt es im kleinen Lesesaal des Hausarchivs. Die Forscher sitzen hinter einer Glasscheibe, ein diensthabender Archivar hat alles im Blick. Nicht, dass da etwas abhanden kommt.

Aber die Spezies der hemmungslosen Ludwig-Verehrer und Verschwörungstheoretiker („den hams umbracht“), die sich vielleicht an dem ein oder anderen Wittelsbacher Schriftstück nur zu gern privat ergötzen würden, lässt sich im Archiv ohnehin nicht blicken. Sie haben es nicht so mit staubtrockener und langwieriger Forschungsarbeit.

150 bis 200 Besucher mit ernsthaften Forschungsanliegen gibt es im Jahr, dazu kommen schriftliche Forschungsanfragen, die Immler akribisch („wir sind da etwas altmodisch“) in einem Eingangsbuch auflistet. 1000 Einträge im Jahr sind es schon. Der Zugang zum Archiv hat sich mit den Jahren, nun ja, liberalisiert, ist deutlich leichter geworden. Das war früher anders. Einer der Vorgänger Immlers, der Historiker Hans Rall (1912–1998), war glühender Monarchist, der eine devote Biografie über den Kaiser Wilhelm II. hinterlassen hat. Für kritische Forscher war dann halt im Archiv eher kein Platz.

Heute ist das anders. Archivdirektor Immler ist ja selbst Historiker. Er weiß, dass ungehinderter Archivzugang die Basis der Geschichtswissenschaft ist. Allerdings gibt es da ein Problem: Immler kann nicht selbst entscheiden, wer das Archiv benutzt. Denn die Archivalien gehören ja den Wittelsbachern. Alle Anträge reicht er also weiter. Er besitzt das Vertrauen von Herzog Franz (87), dem Oberhaupt der Familie. Ihn redet Immler höflich mit „Königliche Hoheit“ an, obwohl er natürlich weiß, dass Franz kein König ist. „Da halte ich mich an die Tradition.“

Franz lässt sich schwierige Forschungsfälle schon auch mal persönlich erläutern. Und die gibt es durchaus. Die jüngere Geschichte der Familie ist heikel, vor allem wenn Protagonisten noch leben. Beispiel: Es gibt bisher keine Arbeit, die in das schwierige Verhältnis zwischen Kronprinz Rupprecht und seinem Sohn Albrecht hineinleuchtet. Die beiden waren zeitweise verkracht – was mit der (damals als nicht standesgemäß angesehenen) ersten, früh verstorbenen Ehefrau Albrechts, Maria Gräfin Draskovic von Trakoscan, zusammenhängen mag. Sie ist die Mutter von Herzog Franz. Forscherneugier endet hier. „Da zeigt sich dann, dass es ein Familienarchiv ist“, sagt Immler. Und gibt zu bedenken, dass auch Otto Normalverbraucher wohl kaum einem fremden Forscher Zugang zu privaten Familienbriefen gewähren würden.

Immler weiß über Ludwig II. fast alles. Wenn man ihn fragt, ob Ludwig wirklich den blauen Hermelinmantel getragen hat, mit dem ihn der Maler Gabriel Schachinger als Großmeister des St. Georgs-Ritterordens nach seinem Tod gemalt hat, dann gibt er ohne lange nachzudenken Auskunft. Ja klar, einmal im Jahr beim Ritterschlag in der Residenz, da hatte der Ludwig den Mantel an. Er fügt noch an, dass man ihn heute im Museum der Wittelsbacher in Hohenschwangau besichtigen kann. Den Mantel, nicht das Bild (das hängt in Schloss Herrenchiemsee).

Forschungsbedarf zu Ludwig II. sieht Immler – man glaubt es angesichts der Fülle an Literatur über den Märchenkönig kaum – durchaus. Er freut sich schon auf eine Dissertation, die sich der tiefen Gläubigkeit Ludwig II. widmen wird. Ja, unser Ludwig war ein ganz Frommer, hatte dabei aber ein durchaus gespaltenes Verhältnis zur katholischen Amtskirche. Der Theologe, der die Dissertation verfasst hat und zur Veröffentlichung vorbereitet, saß jahrelang in Immlers Archiv. Was aber vor allem fehlt, ist eine moderne wissenschaftliche Biografie Ludwigs. Da sei leider nichts in Sicht, sagt Immler.

Er muss es wissen – er sitzt ja an der Quelle.

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