München – Oliver Falck, 46, hat die City-Maut bereits für sich selbst eingeführt. Jedes Mal, wenn der Wirtschaftswissenschaftler sein Auto bewegt, kostet ihn das sechs Euro pro Tag. Das Geld will er am Ende des Jahres spenden. Die Bilanz: „Seit Anfang Oktober bin ich nur viermal gefahren – meine Kinder bringe ich nur noch mit dem Lastenradl zur Schule“, sagt der Münchner.
Es ist genau der Effekt, den die sogenannte Anti-Stau-Gebühr haben soll. Etwa ein Jahr lang hat Falck am Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) in einer Studie untersucht, was sich in München durch eine Innenstadt-Maut ändern würde. Das Ergebnis: Mit einer Gebühr von sechs Euro pro Tag innerhalb des Mittleren Rings könnte man die Blechlawinen in den Griff bekommen. Die Maut soll den Verkehr um 23 Prozent senken, in Spitzenzeiten sogar um 33. „München ist eine der staureichsten Städte“, sagt Falck. „Ich glaube, alle sind sich einig, dass es so nicht weitergehen kann.“
Der Vorschlag vom ifo-Institut wird seit Dienstag heiß diskutiert – denn er hat jetzt Zuspruch von der CSU im Stadtrat gekommen. „Wir sind zu dem Ergebnis bekommen, dass wir die Einführung einer City-Maut grundsätzlich befürworten“, sagte Fraktionschef Manuel Pretzl unserer Zeitung (wir berichteten). Ein paar Abweichungen könnte es allerdings von der Studie geben: Für Anwohner, Lieferdienste und Handwerker sollen eventuell Ausnahmen gelten – zum Beispiel durch vergünstigte Abos oder Sonderregelungen.
Denn vor allem aus diesen Gruppen kommt Kritik. „Ein großer Teil des Wirtschaftsverkehrs kann sein Verkehrsverhalten nicht ändern“, sagt Stefan Burger von der Handwerkskammer für München und Oberbayern. „Etwa die Handwerker: Die zahlen das, was sie zahlen müssen, weil es für sie keine Alternative gibt.“ Übrig würden diejenigen bleiben, die sich eine Fahrt in die City nicht mehr leisten können – obwohl sie aufs Auto angewiesen sind. „Bäcker, Gastronomen, Metzger, die schon um sechs Uhr morgens den Laden aufschließen müssen – und dazu nicht viel Geld verdienen. Genau die Menschen grenzt man mit einer City-Maut aus.“
Ausnahmen oder Sonderregelungen entsprechen allerdings nicht der Idee der ifo-Studie, sagt Falck. „Eigentlich sollte sich jeder Einzelne fragen, welche Alternativen es gibt, um in die Stadt zu kommen.“ Der Wirtschaftsverkehr – und vor allem die Handwerker – würden seiner Meinung nach sogar von der City-Maut profitieren. „Wir haben genau ausgerechnet: Die Zeit, die Handwerker durch die Verkehrsentlastung sparen, ist – nach Stundenlohn gerechnet – mehr wert, als die Maut kostet.“
Ausschließen sollte die Maut aber niemanden, betont er. „Mobilitätspauschalen wären eine Möglichkeit.“ Wer jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit fährt, würde insgesamt auf rund 1200 Euro Mautgebühren pro Jahr kommen. „Man könnte auch jedem eine Pauschale von 1000 Euro zur Verfügung stellen. Dann können die Leute selbst entscheiden, ob sie das Geld für die Maut, für den öffentlichen Nahverkehr oder für private Zwecke ausgeben.“ Wenig sinnvoll sei es aber, nur Tickets für Busse und Bahnen zum Ausgleich anzubieten – so würden andere Alternativen wie Fahrgemeinschaften benachteiligt. „Außerdem kann der ÖPNV nicht allein den gesamten Verkehr stemmen.“
Speziell deshalb sind auch die Händler Münchens skeptisch. „Bei der Erreichbarkeit der Innenstadt gibt es enorme Probleme, und das betrifft alle Verkehrsmittel“, sagt Wolfgang Fischer vom Verein der Innenstadtgeschäfte „Citypartner“. München sei nicht dafür gerüstet, dass alle Menschen aus dem Umland auf S-Bahn-Linien umsteigen. „Von einem attraktiven Nahverkehr sind wir noch weit entfernt.“
Strikt gegen eine Münchner City-Maut ist deshalb auch der Erdinger Landrat Martin Bayerstorfer (CSU). „Das kann ich mir nur dann vorstellen, wenn wir einen leistungsstarken ÖPNV haben. Auf die S-Bahn aus Erding trifft das nicht zu. Hier fehlt es bis zum Bau der zweiten Stammstrecke massiv an Kapazitäten.“ Und auch Landrat Stefan Frey (CSU) aus Starnberg sagt: „City-Maut sehe ich kritisch. Ist sehr münchenlastig gedacht und zu kurz gesprungen.“ Viele Pendler würden vor den Toren Münchens nach Ausweichmöglichkeiten und im Umland nach Parkmöglichkeiten suchen. „Das bedeutet, dass die Umlandkreise diesen Verkehr auffangen müssen. Wir sind aber ohnehin schon verkehrlich sehr belastet.“
Aus der Industrie- und Handelskammer (IHK) München kommt hingegen Unterstützung: „Wir finden es gut, dass die Diskussion angestoßen wird“, heißt es. „Wenn man den Prognosen glaubt, dann steht München bis 2030 im Dauerstau.“ Die City-Maut könnte etwa für Einzelhändler Vorteile haben: „Kunden können flüssiger in die Innenstadt fahren, der Lieferverkehr wird verbessert.“
Im Münchner Stadtrat fallen die Reaktionen gespalten aus. Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) lobt: Die City-Maut könne die Stadt vom Autoverkehr entlasten – „diese Entlastung ist auch dringend geboten, denn München erstickt im Stau“, so Habenschaden. „Ich freue mich, dass inzwischen auch die CSU zu dieser Erkenntnis gelangt ist.“
Die SPD/Volt-Fraktion kritisiert hingegen: „Statt in ein Maut-Überwachungssystem an jeder Ampel Millionen zu investieren, stecken wir das Geld lieber in neue ÖPNV-Angebote und einen günstigen MVV-Tarif.“ Die Umsetzung könnte zudem noch Jahre dauern, da die rechtlichen Voraussetzungen fehlen.
Oliver Falck vom ifo-Institut meint auch: „Die City-Maut ist ein langfristiges Konzept, das vielleicht erst ab 2025 machbar ist.“ Man müsse sich Zeit nehmen, die Alternativen zum Auto attraktiver zu gestalten. „Vor allem auf der Stammstrecke gibt es zu oft Probleme“, sagt er. Auch technisch müsste man noch herausfinden, wie man die Maut überhaupt umsetzen kann. Bis dahin bleibt er bei seiner persönlichen Übungs-Maut.