„Ich fürchte mich nicht“

von Redaktion

INTERVIEW Friedrich Merz über seine Kandidatur als CDU-Chef, die Corona-Regeln und die Außenpolitik

Eigentlich hatte Friedrich Merz dieses Wochenende einen dringenden Termin: CDU-Parteitag, die Wahl des Vorsitzenden. Corona hat den Zeitplan gekippt. Stattdessen besuchte er uns in unserer Redaktion.

Grüß Gott in Bayern, Herr Merz. Bei Ihrer sportlichen Figur: Fahren Sie gerne Ski?

Ja.

Dann haben Sie als Wahl-Tegernseer Pech. Söder sperrt die Bergbahnen zu, und die Österreicher verhängen Quarantäne. Ist es richtig, den Menschen den Freiluftsport zu nehmen?

Ich bin da hin- und hergerissen. Man fragt sich einerseits: Was kann beim Skilaufen schon passieren? Andererseits: Am Lift und beim Après-Ski gibt es eben erhebliche Risiken. Das Infektionsgeschehen ist insgesamt weniger gesunken als erhofft, und wir haben mittlerweile jeden Tag über 400 Todesfälle in Deutschland mit Corona. Also: Zur Entwarnung gibt es leider keinen Anlass.

Wissen Sie schon, wie Sie Weihnachten feiern?

Wir feiern jedes Jahr mit vier Generationen in der Familie. Meine Eltern sind jetzt aber so hochbetagt, dass sie nicht mehr reisen können, deswegen werden wir sie in Brilon besuchen und wegen Corona zeitversetzt die anderen Teile der Familie sehen.

Wir fragen nach, weil Sie mal gesagt haben, dass es den Staat nichts angeht, wie wir Weihnachten feiern. Die Kanzlerin und Herr Söder sehen das ein bisschen anders.

Ich gehe davon aus, dass sich große Teile der Bevölkerung an die Regeln halten und einfach vorsichtig sind. Gerade Weihnachten ist das wichtigste Fest für die meisten Familien in Deutschland, und da sollte es ein hohes Maß an Vertrauen und Vernunft geben. Mich haben Wortmeldungen aus der SPD irritiert, die es offenbar für selbstverständlich hält, dass die Polizei jederzeit unter dem Weihnachtsbaum die Zahl der Personen durchzählen darf. Das sieht unser Rechtsstaat so nicht vor.

Die Zahl der Opfer in Altenheimen steigt rapide. Warum kriegen wir den Schutz dieser Gruppen noch immer nicht hin?

Die Todeszahlen steigen bei älteren Menschen insgesamt. Wir haben kein Drehbuch, kein Lehrbuch im Kampf gegen das Virus. Ich kann es fachlich nicht erklären, was man im Detail alles anders machen sollte. Was wir aber sicher aus der Rückschau feststellen werden: Deutschland hätte sich im Sommer besser auf die zweite Welle vorbereiten sollen.

Das gilt auch für Schulen?

Bei den Schulen habe ich von Anfang an gesagt: Wir müssen sie so früh wie möglich wieder öffnen. Die Bildungsverluste und die sozialen Probleme, die durch Schulschließungen entstehen, können wir durch kein Geld der Welt wieder ausgleichen. Diese Dimension unterschätzen wir wahrscheinlich alle noch.

Warum hat der Staat die Digitalisierung an den Schulen verpennt?

Ich kann das aus der Nähe nur für NRW beurteilen. Schauen Sie mal, wie gut dort die Justizverwaltung digitalisiert worden ist – fast der gesamte Rechtsverkehr zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Anwaltschaft läuft mittlerweile voll elektronisch, die elektronische Akte steht kurz vor der Einführung. Demgegenüber haben manche Schulen bis heute kein WLan. Die Justizverwaltung hat das zentral geregelt, aber viele hundert Schulträger arbeiten dezentral und sind mit dieser Aufgabe offensichtlich überfordert. Vielleicht können wir vom positiven Beispiel der Justiz lernen, dass die Länder die Schulen stärker zentral digitalisieren sollten.

Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu Markus Söder? Als CDU-Vorsitzender müssten Sie ja täglich mit ihm zusammenarbeiten…

Das tun wir schon, offen und vertrauensvoll. Wir reden viel über strategische Themen und über die personelle Aufstellung der Union.

Prima – lassen Sie uns doch mal teilhaben!

Nein (lacht), heute jedenfalls noch nicht.

Söder sagt immer, sein Platz sei in Bayern. Sehen Sie das auch so?

Wenn der Ministerpräsident des Freistaats sagt, sein Platz ist in Bayern, nötigt mir das größten Respekt ab.

Unser Eindruck ist: Sein Wunschkandidat wären Sie nicht, weil Sie zu sehr ein politisches Alphatier sind – wie er selbst auch.

Das ist nicht Teil unserer Gespräche. Einig sind wir uns darin: Die Union muss mit einer sichtbaren Mannschaft in die Wahl gehen, die das ganze Spektrum von der Wirtschafts- und Umweltpolitik, der Innenpolitik, der Sozial- und Familienpolitik bis hin zur Außen- und Sicherheitspolitik mit glaubwürdigen und authentischen Personen abdeckt. Ich freue mich deshalb sehr, dass wir im Bundestag richtig gute junge Abgeordnete mit politischer Begabung und solidem beruflichem Hintergrund haben.

Rechnen Sie damit, dass Jens Spahn noch vom Laschet-Tandem springt – und fürchten Sie dann seine Kandidatur?

Warum sollte ich die fürchten? Ich höre das ständige Geraune und Geflüster in Berlin, aber ich gehe davon aus, dass es bei der Tandem-Lösung bleibt, was immer das dann in der Praxis später bedeutet. Mein Team ist der gesamte gewählte Bundesvorstand.

Bald ist Parteitag. Wo zieht Kandidat Merz besser – live oder virtuell?

Mir sagen viele Freunde, ich sollte auf einen Präsenzparteitag Wert legen, auf Tuchfühlung zu den Delegierten. Corona erlaubt uns das nicht – trotzdem müssen wir die Personalfragen dringend klären. Seit zehn Monaten sind wir jetzt in dieser Zwischenphase, dabei stehen 2021 fünf, vielleicht sogar sechs Landtagswahlen an – und die Bundestagswahl am 26. September. Also gibt es die Alternative zurzeit gar nicht.

In der CDU warten alle darauf, wen Sie als Generalsekretär(in) vorschlagen. Wissen Sie es schon?

Ja. Ich werde den Namen nennen, sobald für den Parteitag eingeladen worden ist.

Manche in der Union warnen, ein Kandidat Merz wäre ein Wahlkampfgeschenk an die Grünen, weil Sie so ganz anders ticken als Angela Merkel.

Diese Kausalität erschließt sich mir überhaupt nicht. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Angela Merkel und mir, aber vor allem gibt es große Unterschiede zwischen der CDU und den Grünen. Die müssen wir wieder stärker herausarbeiten. Wir teilen zum Beispiel das grüne Mantra nicht, die Politik habe 30 Jahre lang nichts für den Klimaschutz getan, morgen gehe die Welt unter, und deshalb brauche es heute einen Systemwechsel. Wir als Union antworten auf den Klimawandel mit marktwirtschaftlichen Instrumenten, mit denen wir in den letzten Jahren schon sehr viel erreicht haben, nicht mit ständiger Bevormundung und weiteren Verboten. Das unterscheidet uns von den Grünen im Weg, nicht im Ziel. Wir müssen eindeutig noch besser werden in den Instrumenten, aber wir wollen die Soziale Marktwirtschaft erhalten und für die umweltpolitischen Ziele einsetzen.

Welche drei Themen würde ein Kanzler Merz als Erstes anpacken?

Lassen wir den Kanzler mal weg. Die erste wichtige Frage ist: Welche Themen müssen wir in der CDU anpacken?

Und?

Erstens: die ökologische Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft, um Arbeitsplätze vor allem in der Industrie zu sichern und gleichzeitig die Klimaneutralität zu erreichen. Zweitens: Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit. Da ist das wichtigste Thema die Altersversorgung der heute jungen Generation. Die Große Koalition hat es nicht geschafft, sich auf eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung zu verständigen. Noch immer gibt es die Illusion, dass die Rentenversicherung den Lebensstandard im Alter sichert. Das kann sie nicht mehr – wir überschreiten jetzt schon 100 Milliarden Euro Bundeszuschuss im Jahr. So kann es nicht weitergehen.

Eigentlich ist das die heftige Reformdebatte vom Leipziger Parteitag 2003?

Es ist vor allem ein Problem, das wir in naher Zukunft dringend lösen müssen. Wir brauchen eine größere Unabhängigkeit des Beschäftigungsverhältnisses von der Altersvorsorge, da sind uns viele Länder in Europa weit voraus! Und, dritter Punkt der Agenda: Wie begegnen wir den außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen, vor allem gegenüber den USA und Asien?

Konkret: Was müssen wir denn tun, damit das Verhältnis unter Joe Biden wieder besser wird? Mehr für Rüstung ausgeben?

Der neue Präsident gibt uns die Chance eines neuen strategischen Dialogs mit den USA. Die Aufwendungen für die Verteidigung folgen einer möglichst einvernehmlichen Bedrohungsanalyse in der Nato. Das Zwei-Prozent-Ziel ist seit 2014 vereinbart, und es muss gelten. Noch wichtiger ist die 2014 formulierte Vereinbarung, dass Deutschland zehn Prozent der militärischen Fähigkeiten der Nato stellt, und das müssen wir vor allem erreichen.

Zählen verrostete Panzer und flugunfähige Hubschrauber auch?

Wir leisten schon sehr viel. Und bringen auch gute Flugzeuge, Fahrzeuge und Schiffe ein. Die entscheidende Frage ist, welche Bedrohungsszenarien wir langfristig für Europa sehen. Territoriale Bedrohungen gibt es, aber eher am Rande des Bündnisgebietes. Die größere Bedrohung für uns alle kommt mit den immer zahlreicher werdenden Angriffen auf unsere Datennetze und unsere digitale Infrastruktur. Das sind neue Formen der Bedrohungen unserer Sicherheit und unser Freiheit, die wir außerordentlich ernst nehmen müssen.

Dann können wir erst recht nicht den Ausbau des 5G-Handynetzes den Chinesen und Huawei überlassen…

Das wird auch nicht unkontrolliert geschehen. Wahr ist aber auch, dass wir technisch im Moment nicht in der Lage sind, mit europäischen Komponenten vollständig diese Netze aufzubauen. Da haben wir vor Jahren einige Fehler gemacht, als die Bundesrepublik die Lizenzen für 5G vergeben hat. Damals spielten Flächenabdeckung und Sicherheit eine viel zu kleine Rolle, es ging nur darum, möglichst viel Geld für den Steuerhaushalt hereinzuholen. Leider gilt da das alte Strauß-Bild: Wenn Du den Mantel unten einmal falsch einknöpfst, kannst Du es oben nicht mehr korrigieren.

Interview: Georg Anastasiadis, Mike Schier und Christian Deutschländer

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