Gmund/München – Der Schulleiter hat sich passend zum Thema digital via Zoom-Konferenz zum Gespräch eingeschaltet. Man sieht Tobias Schreiner, 41, in seinem Büro, hinten eine Couch, bunte Bilder an der Wand. Vorne groß auf dem Bildschirm der Online-Profi. Schreiner twittert, schreibt einen Blog über den Online-Unterricht und ist ein Fan von Digitalunterricht. „Das ist aber weit mehr, als nur einen Lehrervortrag zu streamen“, sagt er.
Manchmal sieht man Schreiner (auf Twitter) auch in der Luft – der Vater dreier Kinder ist Gleitschirmflieger. Für manche ein riskantes Hobby. Aber eine digitale Bruchlandung, so wie es dem Kultusministerium gestern mit der Lernplattform Mebis widerfuhr (siehe unten), wird Schreiner nicht passieren. Er hat sich frühzeitig gekümmert, das Landratsamt davon überzeugt, Lizenzen für die Microsoft-Lösung MS Teams zu kaufen. Die Kosten: rund 3000 Euro im Jahr – überschaubar also. Mebis nutzen am Tegernsee nur wenige Lehrer.
Die Schule dürfte sich auch sonst etwas von der Durchschnitts-Digital-Ausstattung anderer Schulen abheben: Es gibt zum Beispiel 50 Laptops für Schüler zum Ausleihen – gekauft aus Bundesmitteln. „Der Bedarf ist aber nicht so riesig“, sagt Schreiner. Es sind immer nur ein paar Geräte verliehen. Alle Lehrer haben Dienstgeräte, alle können damit umgehen, sagt Schreiner mit Nachdruck. Drückeberger im Kollegium? Nein, die gebe es nicht.
Genau um dieses Thema – die Beteiligung der Lehrer am Digitalunterricht – gibt es viele Diskussionen. Von anderen Schulen berichten Eltern, dass sie von manchen Lehrern seit Monaten nichts mehr gehört haben. Eine klare Anweisung aus dem Kultusministerium, dass jeder Lehrer Online-Unterricht geben muss (und das der Schulleiter auch kontrollieren muss), gibt es bis heute nicht. Auch in anderen Ministerien, so hört man, herrscht über dieses Versäumnis von Kultusminister Michael Piazolo mittlerweile Verwunderung.
An den Unis etwa ist es anders: Jeder Professor wurde per Anweisung dazu verpflichtet, ein Online-Lehrangebot für Studenten zu erstellen. Manche Eltern reagieren beim Thema Homeschooling mittlerweile gereizt – und Lehrer sind gereizt, was ihnen Eltern da unterstellen. „Natürlich reißen wir uns alle Haxn für die Kinder und Jugendlichen aus“, versichert die Chefin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, Simone Fleischmann. Sie gibt aber zu bedenken: Noch so guter Digitalunterricht könne den Präsenzunterricht nicht ersetzen.
Was am Tegernsee nur so mittelgut läuft, ist das Internet. „Wir sind hier auf dem Land“, seufzt Schreiner. Mit dem Problem steht er im Hightech-Land Bayern nicht allein, beileibe nicht: Selbst im weit größeren Erding sind zwei benachbarte Schulen nicht ans Breitband angeschlossen, nur wenige Lehrer können gleichzeitig das Internet nutzen. Die Gmunder Schule hat drei DSL 50-Leitungen, das entspricht der Bandbreite von drei Haushalten. „Das ist schon im Regelunterricht ein Problem“, sagt Schreiner, dann nämlich, wenn zu viele Lehrer gleichzeitig Präsentationen aus dem Internet runterladen. Den Unterricht für ein Dutzend Klassen gleichzeitig von der Schule aus nach Hause zu streamen, wäre in Gmund nicht möglich. Erst 2021 soll die heiß ersehnte Glasfaser-Leitung stehen.
Zwei Zehntklässler, Verena Schmidt und Tobias Rixner, schalten sich über Zoom ins Gespräch. Sie waren kürzlich zwei Wochen in Quarantäne. Das bedeutete: Videounterricht zu Hause, täglich ab 7.50 Uhr sechs Schulstunden lang. „Es hat gut funktioniert“, sagen die Schüler übereinstimmend. Wobei sie die Quarantäne eher fad fanden. „In der Schule trifft man seine Freunde“, sagt Verena. Nie sind Schüler so gerne in die Schule gegangen wie jetzt in der Corona-Zeit.ggZG
Wird die digitale Anwesenheit kontrolliert? Ja, sagt die Mathelehrerin Isa Cibis. Allerdings sieht sie ihre Schüler im Livestream meist nicht. Sie dürfen – Achtung Datenschutz – die Kamera ausschalten. Dann hört sie nur noch, was die Schüler so treiben, wenn sie sich am Unterricht gerade nicht beteiligen, sieht die Lehrerin nicht. Etwas problematisch sind Hausaufgaben, die digital gelöst werden sollen: „Die zwei Schüler, die sonst auch nie Hausaufgaben abgeben, haben sie auch digital nicht gemacht“, sagt Cibis. Manche Schüler loggen sich nur mit ihrem Smartphone ein, dann sind bestimmte anspruchsvolle Aufgaben nicht machbar. Abfragen geht nur mündlich, schriftliche Schulaufgaben daheim – nicht möglich.
Nun hat das Kultusministerium alle Kinder ab der 8. Klasse (Abschlussklassen ausgenommen) in den Wechselunterricht mit halbierten Klassen geschickt. 40 Prozent der Schüler sind das. Doch Schreiner verweigert sich dem, was andere Lehrer nun mit großem Aufwand betreiben: Liveeinblendungen der Schüler von daheim in das nur halb gefüllte Klassenzimmer, in dem der Lehrer dann beide Gruppen unterrichtet.
Da in Gmund seit gestern neun Klassen halbiert sind, scheitert der Digitalunterricht schon an der Netzkapazität. Außerdem: „Ich hab’s selber ausprobiert: Das gescheit hinzubekommen, ist wirklich komplex“, sagt Schreiner, der Lehrer für Religion, Deutsch und Informatik ist. Notwendig wären mehrere Mikros und Kameras, damit jeder alles mitbekommt. Am Tegernsee erhalten die Schüler stattdessen Aufgaben, auch digitale, die sie am nächsten Tag zeigen müssen.
Schreiner ist überzeugt, dass Schule nach der Pandemie nicht in die Kreidezeit zurückfällt. „Manches wird bleiben.“ Die digitalen Plattformen seien ideal für kranke Kinder, damit sie nicht so viel versäumen. Aber Schule als rein digitale Veranstaltung auf Dauer kann er sich nicht vorstellen. Schon bei den Elternbeiratssitzungen kam ihm das komisch vor. „Da fehlt der gesellige Teil.“