von Redaktion

Seit mehr als drei Jahrzehnten versorgt Jan Hofer Millionen Menschen mit dem Wichtigsten des Tages – am Montag ist der Chefsprecher der ARD-„Tagesschau“ selbst die Nachricht: Dann verabschiedet sich der 68-Jährige mit seiner letzten 20-Uhr-Ausgabe in den Ruhestand. Wir sprachen mit dem gebürtigen Rheinländer und langjährigen Wahl-Hamburger über seine Anfänge bei ARD-Aktuell, Reaktionen von treuen und weniger treuen Zuschauern und Lockrufe der Privatsender.

Emotionen verbieten sich ja eigentlich für einen Nachrichtensprecher. Dennoch: Mit welchem Gefühl gehen Sie in Ihre letzte „Tagesschau“?

Das weiß ich noch nicht ganz genau. Am Donnerstag hatte ich meine letzte „Tagesschau“ im „Morgenmagazin“ – und das war schon ein komisches Gefühl. Auf der anderen Seite ist es schön zu wissen, dass man keinen Schichtdienst mehr machen muss. (Lacht.)

Ist Ihnen die Entscheidung, aufzuhören, schwer- gefallen?

Nein, nach so vielen Jahren nicht. Ich kann auch gut loslassen. Wichtig war mir nur, dass ich entscheide, wann ich aufhöre – und dass ich nicht rausgetragen werde.

Das haben Sie nicht ernsthaft befürchtet?

Nein. Natürlich nicht. Aber ich habe den Job schon länger gemacht, als ursprünglich vorgesehen war, und finde den Zeitpunkt jetzt gut. Ich werde am Schluss der Sendung auch nichts Dramatisches von mir geben, ich werde mich bedanken, und das war es dann auch. Eine große Feier oder Ähnliches ist ja in diesen Zeiten ohnehin nicht möglich.

Vor 35 Jahren sind Sie ins Team von ARD-aktuell gekommen. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste „Tagesschau“?

An die „Tagesschau“ an sich nicht. Aber ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal in die Redaktion kam. Das war ja alles anders als heute, es wurde vor allem viel geraucht, und so kam ich in ein total verqualmtes Büro. Als ich dem Redakteur dort vorgestellt wurde, sagte der: „Jetzt schleppen sie auch schon Konfirmanden hier an.“ Dabei war ich Anfang 30! (Lacht.) Ich sah wohl immer relativ jung aus.

War Ihnen damals schon klar, dass Sie als Sprecher der wichtigsten Nachrichtensendung in Deutschland Ihre Privatheit ein großes Stück weit aufgeben?

Ich kam damals ja schon aus den Medien, hatte Radio- und Fernsehsendungen moderiert und bin mit der „Tagesschau“ sozusagen nicht erst vom Himmel gefallen. Aber trotzdem ist es ein großer Unterschied, ob Sie in der Landesliga spielen oder in der Bundesliga. Die „Tagesschau“ zu sprechen, war natürlich eine tolle Chance für mich damals – aber welche Begleiterscheinungen das hat, darüber hatte ich mir keine Gedanken gemacht. Mir ging es nie darum, berühmt zu sein. Ich habe die Arbeit bei der „Tagesschau“ immer als meinen Beruf begriffen, nicht mehr und nicht weniger. Und das rate ich den Kollegen, die neu ins Team kommen, auch immer.

Überwiegen die positiven oder die negativen Begleiterscheinungen?

Ich würde sagen, dass ich alles in allem relativ ungeschoren davongekommen bin. Natürlich wird man oft angesprochen, ist 365 Tage im Jahr sozusagen im Dienst. Und es wurde auch immer mal über mein Privatleben berichtet, bei einer Trennung oder wenn ich Vater geworden war. Aber ich konnte das gut in Grenzen halten.

Für Millionen Menschen sind Sie trotzdem eine Art Familienmitglied geworden. Das hat man spätestens gemerkt, als Sie im März 2019 mitten in der Sendung einen Schwächeanfall erlitten. Deutschland war in Sorge! Hat Sie das berührt?

Ja, das hat mich schon sehr berührt. Aber noch mehr berührt mich das, was mir die Menschen jetzt gerade sagen und schreiben im Hinblick auf meinen Abschied von der „Tagesschau“. Damit hätte ich nicht gerechnet. Da ist so viel Zuneigung! Die können sich nicht vorstellen, dass ich gehe. (Lacht.)

Ist doch schön!

Ja, und ich verstehe das auch. Wenn jemand heute 50 ist, und er hat im Alter von 13, 14 Jahren angefangen, sich für Nachrichten zu interessieren – dann habe ich den sein ganzes Leben lang begleitet.

Sie haben aber auch Erfahrung mit negativen Zuschriften, das ging bis hin zu Hassnachrichten.

Ja, in den Hochzeiten von Pegida und auch jetzt im Zuge der Querdenker-Demonstrationen gab es schon einiges.

Nehmen Sie Kritik an der „Tagesschau“ oder Beschimpfungen wie „Lügenpresse“ persönlich?

Ja, und es ist gar nicht so einfach, damit umzugehen. Anfangs war ich richtig betroffen. Ich bin dann vor einiger Zeit mit dem damaligen Chefredakteur von ARD-Aktuell mal durchs Land gefahren, nach Dresden zum Beispiel, um mit den Menschen in den Dialog zu treten. Teilweise waren die Leute unseren Argumenten auch ganz zugänglich. Und mir persönlich ist immer viel Vertrauen entgegengebracht worden. Aber es gibt natürlich auch diejenigen, die nicht verstehen wollen. Verschwörungstheoretiker wollen zum Beispiel gar nichts anderes wissen als das, was sie in ihrem eigenen Dunstkreis hören und lesen. Alles andere ist für die Teufelskram. Da kann man irgendwann auch nichts mehr machen. Und wenn man das weiß, kann man es auch für sich selber ein bisschen besser verstehen.

Haben Sie jemals mit dem Gedanken gespielt, die „Tagesschau“ bzw. die ARD zu verlassen?

Es gab Anfang der Neunzigerjahre durchaus Anfragen von Privatsendern. Ich hätte das eine oder andere vielleicht sogar wahrgenommen, wenn ich nicht innerhalb der ARD immer interessante Aufgaben auch neben der „Tagesschau“ gehabt hätte wie beispielsweise Unterhaltungssendungen. Deswegen habe ich mich nie wirklich von dort wegbewegt.

Sie haben in dieser Richtung eine ganze Menge gemacht: „Riverboat“, „Das ist spitze!“, Sie hatten Gastauftritte in der „Sesamstraße“. War das für Sie nie ein Widerspruch zur seriösen „Tagesschau“?

Doch. Ich musste es aber ehrlicherweise erst lernen, dass das auch ein Widerspruch sein kann. Der frühere langjährige Programmdirektor der ARD, Günter Struve, hat mir da mal ein bisschen Nachhilfe gegeben.

Das heißt was genau?

Er hat immer gesagt: „Mein Freund, jetzt musste dich mal entscheiden.“ Ich dachte damals: Warum? Was will er von mir? Aber ich habe dann nachgedacht und muss schon sagen: Struve hatte Recht. Wenn man zu viel macht, gibt es mitunter ein Glaubwürdigkeitsproblem. Ich habe dann nur noch journalistische Unterhaltung gemacht. Man steckt ja in einer Schublade. Das ist kein deutsches Problem. Das ist überall auf der Welt so, dass die Menschen jemanden in einer besonderen Rolle sehen und auch sehen wollen.

Gab es in all den Jahren eine Ausgabe, die Sie nie vergessen werden?

Ja, eine Sendung ist mir in besonders positiver Erinnerung geblieben. Das war der Fall der Mauer. In dieser Nacht hatte ich Dienst zusammen mit Hajo Friedrichs, der die „Tagesthemen“ moderierte. Günter Schabowski hatte gerade die Öffnung der Grenzen verkündet, und wir dachten, dass da die Leute jetzt in Massen auf die Straße stürmen und in den Westen wollen. Aber mitnichten – es passierte nichts! Unser Reporter Robin Lautenbach, ich weiß es noch wie heute, stand da ganz alleine. Es dauerte eine Weile, bis wir verstanden, dass die Menschen im Osten die Pressekonferenz gar nicht hatten sehen können. Später sorgte dann unter anderem unsere Berichterstattung dafür, dass die Leute wussten, was passiert war. Das fand ich schon eine bemerkenswerte Angelegenheit.

Wissen Sie schon, was Sie am Dienstag, dem ersten Tag nach Ihrem offiziellen Renteneintritt, machen werden?

Da werde ich wahrscheinlich in Düsseldorf sein und meinen Bruder besuchen. Es ist also nichts Besonderes geplant, falls Sie das meinen.

Was werden Sie am meisten vermissen?

Das weiß ich noch nicht so genau. Im Augenblick fühlt sich das alles ein bisschen wie Urlaub an, gar nicht wie ein richtiger Abschied. Ich werde das wahrscheinlich erst im Lauf des nächsten Jahres richtig merken. Langweilig wird mir aber sicher nicht werden. Ich denke über einen Podcast nach, eine erste Testfolge haben wir schon aufgezeichnet. Mal schauen, was das genau wird.

Auf was freuen Sie sich?

Auf viel Zeit mit meiner Familie und auf ein schönes Gefühl von Freiheit.

Das Gespräch führte Stefanie Thyssen.

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