Münchner Klinikchef wirft Spahn „skandalöse Impfpolitik“ vor

von Redaktion

Der Chef des Deutschen Herzzentrums kann nicht verstehen, dass ausgerechnet in Deutschland noch nicht geimpft wird

München – Hoffnung made in Germany: Die ganze Welt reißt sich um den Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech. Gestern wurde bereits eine New Yorker Krankenschwester geimpft. Kanada steht in den Startlöchern, England hat bereits letzten Dienstag begonnen.

In Deutschland und vielen Nachbarländern dagegen sollen die Impfungen erst im Januar starten. Weil in der EU die Prüfung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) noch immer nicht abgeschlossen ist. „Nicht nur Herr Trump lacht sich ins Fäustchen. Inzwischen haben sogar Bahrain, Singapur und einige andere Staaten den Impfstoff zugelassen. Doch ausgerechnet Deutschland wartet noch immer ab – und das, obwohl der Biontech-Impfstoff aus unserem Land kommt und auch mit unseren Steuergeldern entwickelt worden ist“, sagt Professor Dr. Rüdiger Lange im Gespräch mit unserer Zeitung. In diesem Zusammenhang wirft der Chef des Deutschen Herzzentrums in der Münchner Lazarettstraße dem Gesundheitsminister Jens Spahn „bei der Impf-Strategie Versagen auf der ganzen Linie“ vor: „Ich halte das Zögern der Bundesregierung für einen skandalösen politischen Vorgang.“

Auch die FDP greift die regierenden Politiker an: „Seit Monaten hören wir aus dem Kanzleramt und von den Ministerpräsidenten, dass im Winter eine zweite Welle zu erwarten sei und dass es dann alsbald mit dem Impfen losgehen werde, trotzdem wurden für beides praktisch kaum Vorbereitungen getroffen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae.

Kanzlerin Angela Merkel sei zumindest indirekt mitverantwortlich dafür, dass Deutschland einen früheren Impfstart verbummelt habe, so Klinikdirektor Lange weiter: „Ich hätte mir gewünscht, dass die Kanzlerin im Kampf gegen eine so gefährliche ansteckende Krankheit auf eine Notfallzulassung drängt.“ Dies wäre aus Sicht des Mediziners ohne Weiteres möglich gewesen. Dazu hätte die Bundesregierung nach einer Freigabe ihrer Fachbehörde, des Paul-Ehrlich-Instituts, einen entsprechenden Beschluss fassen können.

Doch die Kanzlerin setzt auf eine europäische Lösung. Die EMA ist insgesamt für 27 Nationen zuständig. Merkels Strategie hält Lange für falsch. „Alle Daten der Biontech-Impfstudie sind letzte Woche in dem renommierten New England Journal of Medicine veröffentlicht worden. Danach ist der Impfstoff nach den bisherigen Erfahrungen sehr sicher. Weitere Erkenntnisse kann auch die EMA bis zu ihrer festgesetzten Frist vom 29. Dezember zu diesem Zeitpunkt nicht gewinnen.“ Mögliche Langzeitschäden des Impfstoffs seien – wenn es sie denn überhaupt geben sollte – ohnehin noch nicht absehbar. „Bis zum 4. Januar sind es noch 21 Tage. Wenn, wie zuletzt, 500 Opfer am Tag zu beklagen wären, dann hätten wir bis zum Start der Impfungen über 10 000 weitere Corona-Opfer in Deutschland. Zumindest einen Teil der Todesfälle könnte die Politik verhindern“, kritisiert Lange.

„Anstatt sich auf den Wettbewerb zu beschränken, welcher Politiker die härtesten Lockdown-Vorschläge unterbreiten kann, sollte die Regierung alle Anstrengungen unternehmen, den Bürgern den einzig rettenden Impfstoff zugänglich zu machen.“                                ANDREAS BEEZ

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