„Wir impfen in Fort Knox“

von Redaktion

VON JOSEF AMETSBICHLER

Ebersberg – Liam Klages, Chef des Ebersberger Impfzentrums, steht in der offenen Tür des Banktresors im Keller. Der Stahl des Türblatts misst eine gute Elle. „Die baulichen Gegebenheiten sind optimal“, sagt der 20-jährige Projektleiter, der aus dem Rettungsdienst kommt. Leer sind Schließfächer und Tresor, zuletzt hat das Technische Hilfswerk die alten Schaltermöbel aus der Eingangshalle geräumt. Anstelle der Banker ziehen nun die Mediziner ein: Der Landkreis Ebersberg richtet sein Impfzentrum im ehemaligen Sitz seiner Kreissparkasse ein.

Weil dem Landkreis die Rechnungen nur so um die Ohren fliegen, seit er das sanierungsbedürftige Gebäude gekauft hat, gilt es als finanzieller Flop. In der Corona-Krise aber macht sich die Immobilie nützlich. Dort ist auch das Ebersberger Diagnostikzentrum beheimatet, wo sich hunderte Menschen täglich auf das Coronavirus testen lassen. Es ist weniger der Tresor, der den Bau für ein Impfzentrum so attraktiv macht, als vielmehr die turnhallengroße Schalterhalle im Erdgeschoss mit ihren barrierefreien Ein- und Ausgängen und den Nebenzimmern. Dort sollen sich – hoffentlich schon ab 5. Januar – die Ebersberger gegen das Coronavirus immunisieren lassen, die gesundheitlich anfälligsten zuerst.

Der Tresor im Keller könnte dabei eine Rolle spielen, er könnte die Kühlschränke mit dem begehrten Impfstoff vor unberechtigtem Zugriff schützen. Wahrscheinlich lagert das Mittel aber eher im Raum davor, bei Temperaturen zwischen 2 und 8 Grad, rund um die Uhr bewacht von einem Sicherheitsdienst. „Wir impfen in Fort Knox“, kalauert Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß. Er sagt auch was im Ernst: „Wir könnten loslegen.“

Bereit stehen für den Start vier Ärzte, fünf Verwaltungsangestellte und sechs medizinische Fachkräfte. Macht in der Summe 250 Impfungen am Tag vor Ort, rechnet der Landrat vor. Dazu kommen zwei mobile Teams, die beispielsweise in Pflegeheimen zum Einsatz kommen sollen, mit einer Kapazität von 60 Dosen am Tag. Geimpft wird dann sieben Tage die Woche, von 8 bis 18 Uhr. Und hier könnte der Landkreis nachsteuern, so Niedergesäß: Falls der Andrang groß und ausreichend Impfstoff vorhanden ist, seien mit Betriebszeiten von 6 bis 22 Uhr und mehr Personal bis zu 750 Impfungen am Tag zu stemmen.

Damit das Stelldichein der Risikopatienten in der Schalterhalle nicht zum Infektionsherd wird, haben die Betreiber von der Firma Tresec aus Taufkirchen im Landkreis München minutengenau geplant, wie die Impfung über die Bühne gehen soll. Ganz wichtig: „Ohne Termin kein Einlass“, sagt Projektchef Klages. Den bekommen Impfwillige entweder online oder per Telefon-Hotline – in einem Magdeburger Callcenter seien 40 Mitarbeiter für die Ebersberger Bedürfnisse reserviert. Wie die Impfwilligen nachweisen können, dass sie zu denen gehören, die die schützende Spritze mit erster Priorität bekommen, ist noch nicht ausgegoren. Im Gespräch ist ein Attest vom Hausarzt. Da die notwendigen Richtlinien, die Aufklärungsbögen sowie die versprochene Rundum-Sorglos-Software vom Freistaat noch nicht da sind, warten die Betreiber des Impfzentrums auf die Info von oben.

Ein großes Banner lotst die Impflinge zum Hintereingang des Gebäudes. Ab dann fühlt man sich wie in der Fahrschule: Stoppzeichen, Einbahnstraßenschilder und Abbiegepfeile geben den Weg vor, damit sich die Risikopatienten nicht zu nahe kommen. Wer am Anmeldeschalter seine Impfberechtigung nachgewiesen hat, bekommt eine Nummer zugeteilt. Dann öffnet sich vor ihm das weite, mit einem Dutzend Stühlen bestückte Rund der Schalterhalle. Mindestabstand: zwei Meter. „Wir gehen nicht davon aus, dass hier viele Personen warten müssen“, sagt Klages, der Hausherr. Dafür die Terminvergabe. Die Patienten werden datenschutzkonform per Nummer in eins der vier Arztzimmer gerufen.

Hinter Milchglasscheiben bedeckt pflegeleichter PVC-Boden den alten Bankteppich. Gelüftet wird übers Fenster, eine Putzfirma desinfiziert im laufenden Betrieb und wischt täglich abends durch, erklärt der Betreiber. In einer Ecke steht eine mobile Waschstation, für alle Fälle gibt es einen Defibrillator, schließlich werden in der Anfangsphase der Impfaktion Menschen mit allen möglichen gesundheitlichen Problemen auftauchen.

Die entscheidende Spritze gibt es nach einem Beratungsgespräch zu möglichen Vorerkrankungen und Nebenwirkungen mit dem Arzt. Entweder gleich im Sitzen oder auf der Liege nebenan. „Wir haben keinen Zeitdruck“, betont Liam Klages. Seine Firma kalkuliert den Aufenthalt im Arztzimmer auf 7 Minuten und 12 Sekunden bis 8 Minuten und 42 Sekunden. Insgesamt soll das Prozedere zwischen 20 und 25 Minuten dauern, bis es der Patient durch die Vordertür zurück auf den Ebersberger Sparkassenplatz geschafft hat. Wer möchte, darf sich im Nachsorgebereich noch etwas setzen – medizinisches Personal stehe überall in den Räumen bereit, verspricht der Betreiber. Falls jemand gesundheitliche Probleme bekommt, warten im „Notfallzimmer“ Erste-Hilfe-Ausrüstung und Krankentrage.

Die Ebersberger warten nun darauf, dass ihnen der Freistaat Impfstoff liefert. Zum Einsatz könnten laut Betreiber die beiden aussichtsreichsten Kandidaten von Moderna und Biontech je tageweise kommen, um die Terminvergabe zu erleichtern. Jeder Patient braucht zwei Dosen vom selben Impfstoff, damit der Schutz greift. Bedeutet: zwei Besuche im Impf-Fort-Knox. Bis dahin sind die Ebersberger in Lauerstellung und freuen sich über ihre logistische Leistung. Matthias Treff, Geschäftsführer der Betreiberfirma, sagt: „Dieses Gebäude ist mit das schönste Impfzentrum, das hier in Bayern steht.“ Zu den Kosten, die der Freistaat Bayern begleichen wird, schweigt sich das Unternehmen aus.

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