München – 99 Impfzentren, allein 28 davon in Oberbayern: Für den Start der Corona-Impfung sieht das Bayerische Gesundheitsministerium den Freistaat gut gerüstet. 34 Millionen Spritzen und 58 Millionen Kanülen wurden angeschafft. Die Zahlen deuten an, welche Mammutaufgabe auf die Mediziner zukommt. Rund 6000 Haus- und Fachärzte haben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) bereits signalisiert, bei Bedarf mit anzupacken.
Einer von ihnen ist Prof. Jörg Schelling, Allgemeinarzt in Martinsried. „Konkret wissen wir noch nicht, wann und wo es für uns losgeht“, sagt er. „Ich selber werde mithelfen – wenn es die Praxis erlaubt. Aber erst einmal müssen die eigenen Patienten sicher und gut versorgt sein.“ Denn: Sind niedergelassene Ärzte in den Impfzentren im Einsatz, „dann müssen sie für diese Zeit entweder die Praxis schließen oder eine Vertretung finden“, heißt es auf Anfrage unserer Zeitung vonseiten der KVB.
Wie groß dieses Problem am Ende wirklich sein wird? Weiß man auch bei der KVB nicht – zumal die Betreiber der Impfzentren die Kommunen sind, beziehungsweise von ihnen beauftragte Unternehmen oder Organisationen. In vielen Zentren wird es also wohl auch fest angestellte Mediziner geben. Laut Bayerischem Hausärzteverband wurden zudem Ärzte im Ruhestand angefragt. Der Verband rechnet damit, dass 300 bis 500 Ärzte pro Tag in den bayerischen Impfzentren im Einsatz sein werden.
Auch Dr. Sebastian Brechenmacher, hausärztlich tätiger Internist in Krailling, hat sich zum Einspringen bereit erklärt. „Ich habe mich zur Verfügung gestellt, bis jetzt aber nichts gehört“, sagt er. Generell findet er es gut, dass zuerst in Zentren geimpft werden soll. „Im Moment ist die Lagerung und das ganze Drumherum noch zu komplex für den einzelnen Hausarzt.“ Das sieht auch Schelling so. „Für den Anfang ist das gut und sinnvoll“, sagt er. „Auch weil die Impfstoffe zentral gelagert, gekühlt und verteilt werden müssen.“ Erst später, „wenn es dann in die Breite soll“, sieht er die Praxen am Zug. Bis dahin müsse auch die Frage der Abrechnung geklärt sein – und die müsse auch eine ergebnisoffene und individuelle Impfberatung mit ausreichend Zeit abdecken.
Gerade dabei profitieren Hausärzte von ihrer großen Erfahrung. Denn laut Schelling übernehmen sie bereits jetzt rund 90 Prozent aller Impfungen im ambulanten Bereich. Dazu komme ihr Wissen um die Krankheits- und Vorgeschichte ihrer Patienten. „Hausärzte kennen ihre Patienten am besten“, sagt auch Brechenmacher. „Aber wir sind jetzt schon am Anschlag.“
Die Arbeit wird kaum weniger werden. Zumal Hausärzte womöglich bereits vorher in ihren Praxen gefragt sind – um zu attestieren, welcher Patient ein erhöhtes Risiko hat und bevorzugt geimpft werden sollte. „Wir bekommen schon jetzt täglich Anfragen, wissen aber noch gar nichts“, beklagt Brechenmacher. Sollten die Pläne tatsächlich umgesetzt werden, werde es „einen Ansturm geben, den wir nicht bewältigen können“. Auch beim Bayerischen Hausärzteverband warnt man, dass Atteste zur Priorisierung die Leistungsfähigkeit der Praxen „unnötig erheblich einschränken“ würden.
Mit einem Ansturm rechnet Schelling nicht, obwohl es auch bei ihm bereits Attest-Anfragen gibt. „Die Politik wird hier klare Ansagen machen und transparente Regeln aufstellen müssen“, sagt er. Und: Bis dahin mache es keinen Sinn, sich an seine Hausarztpraxis zu wenden. Er bittet um Geduld. Grundsätzlich hält er das Problem der Priorisierung aber für „gar nicht so kompliziert, wenn man sich erst einmal nach dem Alter richtet – und dann schrittweise für andere Gruppen plant“. ANDREA EPPNER