China feiert – und will nicht der Schuldige sein

von Redaktion

VON ANDREAS LANDWEHR UND WOLFGANG HAUSKRECHT

Peking – Ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie hat sich das Bild gedreht. Während das Coronavirus in Europa und vielen anderen Ländern außer Kontrolle zu geraten droht, scheint die Pandemie in China beendet zu sein. In Wuhan, wo alles begann, wird in Diskotheken wieder ausgelassen gefeiert – Körper an Körper, ohne Masken. Die chinesischen Behörden vermelden täglich Neuinfektionen meist nur noch im zweistelligen Bereich, der letzte offizielle Corona-Tote stammt von Anfang August. Geschafft hat des autoritär geführte China das mit Massentests und strikten Lockdowns. Wo immer das Virus auftauchte, wurde komplett abgeriegelt, ohne Rücksicht auf persönliche Freiheitsrechte. Entsprechend feiert sich die Kommunistische Partei genussvoll als Sieger der politischen Systeme.

China verweist auf Tiefkühlketten

Dieses Bild möchten die chinesischen Machthaber ungern dadurch getrübt sehen. dass China als Ursprungsland des Virus gilt. Also versucht die chinesische Propaganda, die Geschichte neu zu schreiben. Angesichts von mehr als 1,5 Millionen Toten weltweit will sich China in einem politisch aufgeheizten Klima nicht als Schuldiger anprangern lassen. „Auch wenn China als erster das Coronavirus berichtet hat, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass das Virus auch aus China stammt“, betont Außenamtssprecher Zhao Lijian. Von Fledermäusen und Wildtierhandel als Ursprung ist derzeit keine Rede mehr.

Vielmehr verweisen die Staatsmedien auf unbestätigte Berichte über mögliche Sars-CoV-2-Infektionen in anderen Ländern schon vor der Entdeckung der ersten Fälle Anfang Dezember 2019 in der zentralchinesischen Metropole Wuhan. Auch wurden Spuren des Virus auf einer Schweinshaxe aus Deutschland und anderen importierten Tiefkühlwaren gefunden. Wobei strittig ist, ob diese Spuren für eine Ansteckung ausreichen. Trotzdem schreibt das Parteiorgan „Volkszeitung“ unter Hinweis auf „alle verfügbaren Beweise“, dass die Tiefkühlketten schuld an der Pandemie sein könnten: „Covid-19 begann nicht in Wuhan.“

Die Suche soll in Wuhan beginnen

„Es ist wirklich schwierig, dass es so politisiert ist“, sagt Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut (RKI). Leendertz ist Experte für Erreger, die wie das Coronavirus vom Tier auf den Menschen übertragen werden können. Er ist Teil der zehnköpfigen internationalen Expertengruppe, die im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO den Ursprüngen des Virus nachgehen soll. Die Gruppe wird Anfang Januar in die Millionenmetropole Wuhan reisen. Bislang gehen Experten davon aus, dass Fledermäuse die ursprünglichen Wirte des Virus sind. Unklar ist jedoch, über welches Tier es dann auf den Menschen übersprang. Als Ursprungsort steht ein Fischmarkt in Wuhan im Verdacht, auf dem unter anderem Wildtiere verkauft wurden.

„Wir gehen davon aus, dass wir da anfangen, wo die solidesten Beweise vorliegen – und das sind immer noch dieser Markt und Wuhan selbst“, sagt Leendertz. „Wir alle wissen, dass es wahrscheinlich nicht da angefangen hat.“ Denn nicht alle der ersten Infektionen wurden auf den Huanan-Markt in Wuhan zurückgeführt. Doch im Bereich der Wildtierstände wurden besonders viele Spuren des Coronavirus gefunden. „Es gibt den starken Verdacht, dass die Epidemie mit dem Wildtierhandel zusammenhängt“, schrieb auch Chinas Staatsagentur Xinhua noch Ende Januar. Kurz darauf verbot die Regierung das oft schmutzige Geschäft mit wilden Tieren, die in China als Delikatessen verzehrt werden. Nun würde Peking am liebsten gar nichts mehr mit dem Virus zu tun haben.

Die WHO-Experten sehen ihre Arbeit ergebnisoffen und wollen sich in der Zeit zurückarbeiten. „Und dann gucken wir, wo uns die Spur hinführt. Ob es in China bleibt, oder ob es nach außerhalb Chinas führt“, sagt Leendertz. Allzu große Erwartungen auf schnelle Antworten will er aber nicht schüren. „Wir werden jetzt nicht irgendwie nach China fliegen, da unsere Superhelden-Anzüge anziehen, ein paar Fledermäuse einfangen und anfangen, den Markt abzustreichen und durch Krankenhäuser zu flitzen. Das ist natürlich ganz anders.“ Es gehe mehr darum, mit den chinesischen Kollegen zu schauen, welche Spuren noch verfolgt werden sollten. „Das wird das Maximum sein.“

Experte: Patient Null wird wohl nie entdeckt

Der Forscher ist aber zuversichtlich, dass der Ursprung des Virus „irgendwann“ gefunden wird. „Es wird wahrscheinlich doch der ursprüngliche Wirt, also eine Fledermaus, sein“, glaubt Leendertz. Dann müsse man schauen, welche Art es sei, wo diese vorkomme und ob ein anderes Tier Zwischenwirt gewesen sei. „Die nächsten Verwandten des Virus, die aber nicht der Ursprung des Virus sind, sind bei Fledermäusen gefunden worden, und zwar im südlichen China.“ Wegen der milden Symptome werde es „schwierig bis unmöglich sein“, die erste Infektion, also „Patient Null“, zu identifizieren.

Indem Donald Trump vom „China-Virus“ spricht, Peking „zur Rechenschaft ziehen“ will und Forderungen nach Entschädigung laut werden, ist die Suche nach dem Ursprung auch eine Suche nach dem Schuldigen geworden. Diese Denkweise teilt Leendertz nicht: „Wir Menschen infizieren uns dauernd mit Viren und Bakterien aus dem Tierreich.“ Das passiere überall. „Es ist ja nicht die Schuld Chinas oder irgendeines anderen Landes, dass da ein Virus von der Fledermaus wahrscheinlich oder einem anderen Tier auf den Menschen übergetreten ist. Das ist schwer zu verhindern.“

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